Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1958

mich bei solchen Strafpredigten überkam: es war ein eigenartiges Zittern in mir, ein Reiz= und Lustgefühl, wenn das Donnerwetter so recht auf mich niederging. Es kamen mir die Tränen in die Augen, sie rieselten mir über die Wangen, aber ich stand wie ein Bäumlein, schaute den Vater an und hatte ein unerklärliches Wohl¬ gefühl, das in dem Maße wuchs, je länger und je ausdrucksvoller mein Vater vor mir wetterte. und Wenn hierauf Wochen vorbeigingen, ohne daß ich etwas heraufbeschwor, und mein Vater immer an mir vorüberschritt, als wäre ich gar nicht vorhanden, zu nichts und nichts zu mir sagte, da begann in mir allmählich wieder der Drang Das erwachen und zu reifen, etwas anzustellen, was den Vater in Zorn bringe. geschah nicht, um ihn zu ärgern, denn ich hatte ihn überaus lieb; es geschah gewiß nicht aus Bosheit, sondern aus einem anderen Grunde, dessen ich mir damals nicht bewußt gewesen bin. Da war es einmal am heiligen Christabend. Der Vater hatte den Sommer zu¬ vor in Mariazell ein schwarzes Kruzifixlein gekauft, an welchem ein aus Blei ge¬ gossener Christus und die aus demselben Stoffe gebildeten Marterwerkzeuge hingen. Dieses Heiligtum war in Verwahrung geblieben bis auf den Christabend, an wel¬ chem es mein Vater aus seinem Gewandkasten hervornahm und auf das Hausaltär¬ chen stellte. Ich nahm die Stunde wahr, da meine Eltern und die übrigen Leute noch draußen in den Wirtschaftsgebäuden und in der Küche zu schaffen hatten, um das hohe Fest vorzubereiten; ich nahm das Kruzifixlein mit Gefahr meiner geraden Glieder von der Wand, hockte mich damit in den Ofenwinkel und begann es zu verderben. Es war mir eine ganz seltsame Lust, als ich mit meinem Taschenfeitel zuerst die Leiter, dann die Zange und den Hammer, hernach den Hahn des Petrus und zuletzt den lieben Christus vom Kreuze löste. Die Teile kamen mir nun getrennt viel interessanter vor als früher im Ganzen; doch jetzt, da ich fertig war, die Dinge wieder zusammensetzen wollte, aber nicht konnte, fühlte ich in der Brust eine Hitze — Wenn's nur aufsteigen, auch meinte ich, es würde mir der Hals zugebunden. Zwar sagte ich mir: das schwarze Kreuz beim Ausschelten bleibt diesmal . . .? — ist jetzt schöner als früher; in der Hohenwanger Kapelle steht auch ein schwarzes Kreuz, wo nichts dran ist, und gehen doch die Leute hin, zu beten. Und wer braucht zu Weihnachten einen gekreuzig¬ ten Herrgott? Da muß er in der Krippe liegen, sagte der Pfarrer. Und das will ich machen. Ich bog dem bleiernen Christus die Beine krumm und die Arme über die Brust und legte ihn in das Nähkörbchen der Mutter und stellte so mein Kripplein auf den Hausaltar, während ich das Kreuz in dem Stroh des Elternbettes verbarg, nicht bedenkend, daß das Körbchen die Kreuzab¬ nahme verraten müsse. bald. Die Mutter bemerkte es zuerst, wie närrisch Das Geschick erfüllte sich Heiligenbildern hinaufkäme. heute der Nähkorb zu den doch „Wem ist denn das Kruzifixlein da oben im Weg gewesen?“ fragte gleichzeitig Vater. mein Ich stand etwas abseits und mir war zumute wie einem Durstigen, der jetzt starken Myrrhenwein zu trinken kriegen sollte. Indes mahnte mich eine absonder¬ liche Beklemmung, jetzt womöglich noch weiter in den Hintergrund zu treten. Mein Vater ging auf mich zu und fragte fast bescheidentlich, ob ich nicht wisse, wo das Kruzifix hingekommen sei? Da stellte ich mich schon kerzengerade vor ihn hin und schaute ihm ins Gesicht. Er wiederholte seine Frage; ich wies mit der Hand gegen das Bettstroh, es kamen die Tränen, aber ich glaube, daß ich keinen Mundwinkel verzogen habe. Der Vater suchte das Verborgene hervor und war nicht zornig, nur überrascht, als er die Mißhandlung des Heiligtums sah. Mein Verlangen nach dem Myrrhen¬ 47

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