Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1957

Kittel knallte gleichmütig mit der Peitsche, daß es scharf durch die frostige Morgen¬ luft klang. Ich wußte, er kam von weit her aus dem Drautale, und fuhr nach Leib¬ nitz zur uralten Heerstraße. Durch eine ganze Welt schien er von mir getrennt aus meinem warmen Heimatnest heraus, der Mann, der so aufrecht und unbekümmert in die weite Welt fuhr zu solch hochheiliger Zeit. Da läutete es vom Kirchturm. Hoch im Schallfenster schwankte ein Lichtlein. Mußte ein beherzter Mann sein, der so früh die Glocke zog, allein im finstern Turm. Und schon stiegen über die nahen Hügel rote Lichtlein herab, da und dort, immer mehr, immer näher, brennende Kienspäne, mit denen frühe Kirchengänger über die vereisten Steige suchten, zur Frühmesse, zur Rorate. Mein Gewissen als Ministrant war rege. In der Sakristei zuckten die Ker¬ zen trübe ums Braun der Schränke. Beim Ankleiden roch es nach alten Kleidern, nach Weihrauch, nach Wachs. Hell strahlten die Lichter am Altar und warfen un¬ gewissen Schein hoch hinauf über die mächtigen Voluten, glänzten hell auf im Gold¬ aum eines Engelkleides und ertranken im hohen Dunkel. „Tauet Himmel den Gerechten“, klang es unsichtbar vom Chor in die finstere Kirche herab, aus Frauen¬ stimmen, und füllte die düsternde Kälte mit warmem, erwachendem Leben. Rein wie voll sinnfälliger Plastik im aufsteigenden Dreiklang, schmiegte sich das alte Lied dann nieder zu inniger Andacht, schwebte klangvoll durch den Raum wie eine Stimme der Verheißung, daß das frohe, lauschende Bubenherz sich immer wieder zum wechselnden Dienste am Altar aufraffen mußte. Dann wartete die liebe alte Großmutter vor der Sakristeitüre. Es war heller Morgen geworden mit all seinen frischen Bildern, über denen noch kaum merklich der Kirchendienst lag wie ein gutes Gewissen vor einem Tag voll Arbeit. In der Wohnstube roch es herrlich nach frischem Brot; durch die Ritzen des gewaltigen Kachelofens konnte man die gelben, züngelnden Flammen sehen. Vor den Fenstern aber begannen die Flocken zu fallen, groß und weich, immer dichter, immer schneller, als ob sie den ganzen Ort in drohendem Wirbel verschütten wollten. Das rief ins Freie. Da zirpte das Bubenvolk wie ein Schwarm Spatzen in unmög¬ lichstem Diskant. Die Schlitten schlenkerten am Strick hinterher und bald sausten wir den alten Steinweg hinunter, daß der alte Invalide Pechtl, als Medaillen¬ veteran bedeutsam, immer wieder drohend den Stock hub. Wer hat je einen rich¬ tigen Buben eingefangen? Das Schreien wurde immer ärger. Man sammelte sich, die brennroten Hände in den Taschen, beim Kastanienbrater an der Gartenecke. Der alte Ratleitner hatte ein scharfes Vogelgesicht, wie nach innen gezogen, an der spitzen blauen Nase ein kristallhelles Tröpfchen. Zuweilen schwang er mit der Fuchspelzmütze vor dem Feuer, daß es knackend aufsprühte. „Tupp“, sagte eine Kastanie und sprang platzend in die Höhe und mir beinahe ins offene Maul, daß ich nur ganz wenig mit den Händen nachhelfen mußte, denn das war Strandgut. Und so klang es immer, dann und wann, als ob man ein kleines Stückgeschütz gelöst hätte. Der alte Kastanien¬ brater mochte uns Kinder offenbar leiden, wenn er auch fast nie mit uns sprach; aber ein Kreis begehrlicher Rotznasen gehörte zu seiner gesellschaftlichen Stellung, war ein gewohnter Staat für ihn. Ich stand ihm etwas näher oder wußte mehr von ihm; denn wenn das Flockengewirbel in ein graues Schneetreiben überging, daß man den Himmel nicht mehr sah und der Verkehr für Stunden stockte, dann warf er sein Feuer aus und erschien in Großmutters Stube. Die lag zu ebener Erde, war niedrig und gewölbt und trug vor dem Fenster ein Gitterwerk von schwarzen Baumzweigen des Obstgartens, die mählich sich mit weichen Schneelasten üllten, so daß das Auge bald durch ein Gewirr schimmernder Zweige lief, in den richtigen Märchenwald. Ratleitner aber, als alter Schulkamerad der Großmutter, saß schlicht an der Wand, holte hie und da unbefangen mit einem blauen Fürtuch den Schnapstropfen von der Nase ein und erzählte, sparsam, wie alte Leute reden, was es gerade Neues gab in der alten Heimat der beiden. Dabei kam man auch auf alte Geschichten, die zuweilen sehr seltsam klangen. Vom Bauernbuben, der den letzten Bären auf der Schwanberger Alm erschossen, oder wie vor Zeiten berauschte Bauernbuben einen 83

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