Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1957

„Was ist denn das?“ sagte der Vater mit leiser, langgezogener Stimme. Der Kleine starrte sprachlos drein. In seinen großen, runden Augen spiegelten sich wie Sterne die Christbaumlichter. Der Vater schritt langsam zur Küchentür und flü¬ sterte hinaus: „Mutter! — Mutter! Komm ein wenig herein!“ Und als sie da war: „Mutter, hast du das gemacht? „Maria und Josef!“ hauchte die Mutter. „Was haben s’ denn da auf den Tisch getan?“ Bald kamen auch die Knechte, die Mägde herbei, hell erschrocken über die seltsame Erscheinung. Da vermutete einer, ein Junge, der aus dem Tale war, es könnte ein Christbaum sein. Sollte es denn wirklich wahr sein, daß Engel solche Bäumlein vom Himmel bringen? — Sie schauten und staunten. Und aus des Va¬ ters Gefäß qualmte der Weihrauch und erfüllte schon die ganze Stube, so daß es war wie ein Schleier, der sich über das brennende Bäumchen legte. Die Mutter suchte mit den Augen in der Stube herum. „Wo ist denn der Peter?“ „Ah“, sagte der Vater, „jetzt schon, jetzt rait ich mir's schon, wer das getan hat! Da erachtete ich es an der Zeit, aus dem Ofenwinkel hervorzutreten. Den klei¬ nenNickel, der immer noch sprachlos und unbeweglich war, nahm ich an den kühlen Händchen und führte ihn vor den Tisch. Fast sträubte er sich. Aber ich sagte — zu ihm: „Tu dich nicht fürchten, Brüderl! Schau, das elber feierlich gestimmt lieb' Christkindl hat dir einen Christbaum gebracht! Der ist dein!“ Und da hub der Kleine an zu jauchzen vor Freude und Rührung. Und die Hände hielt er gefaltet wie in der Kirche. Ofter als vierzigmal seither hab ich den Christbaum erlebt, mit mächtigem Glanze mit reichen Gaben und freudigem Jubel unter Großen und Kleinen. Aber eine größere Christbaumfreude, ja, eine so heilige Freude habe ich noch nicht ge¬ sehen als jene meines kleinen Bruders Nickerl, dem es so plötzlich und wundersam vor Augen trat: Ein Zeichen dessen, der vom Himmel kam. So lange die Lichter brannten, war es wie ein Gottesdienst, während der Mut¬ ter auf dem Herde richtig ein paar Krapfen verschmorten. Erst als sie erloschen, eins ums andere, bis auch das letzte mit ein paar knisternden Flackern dahin war, huben die Leute an zu reden und einer brachte, weil es finster geworden war, von der Küche ein rötliches Spanlicht herein. „Was denn da drunterliegt!“ sagte der Vater und zeigte auf den Wecken. „Nickerl, mich deucht, der gehört auch dir!“ weil es Weihnachts¬ Der schöne bräunliche Wecken, mit Weinbeerln gespickt — gebäck war — wurde dem Kleinen in die Hand gegeben. Er hielt ihn ganz hilflos vor sich. Die Freude wurde nicht größer, weil sie nicht mehr größer werden konnte. Christbaum allein hatte sein ganzes Herzlein ausgefüllt. Der Nachher beim Nachtmahl wurden allerhand Meinungen laut. „Heut' tat eigent¬ lich das Kripperl auf den Tisch gehören!“ meinte die alte Magd. „'s Kripperl ist eh da oben!“ entgegnete der Vater und wies gegen den Wand¬ winkel, wo neben mehreren Heiligenbildern mit kleinen Figuren auch die Darstellung der Geburt Christi war. Also ist die Weihnachtsstimmung schön gewahrt geblieben. Und während wir gekochte Rüben und Sterz aßen, saß der Nickerl beim Christbaum und aß ein Stück¬ chen Wecken, das ihm die Mutter herabgeschnitten hatte. Sich und dem Vater und mir, so war sein Wille, sollte sie auch ein Stück herabschneiden. Aber mir war der lang entbehrte Sterz lieber. So zehrte der Kleine noch am Christtag und am Ste¬ phanitag und Johannestag an seinem Wecken. Aber die Weinbeerln hatte er alle schon am ersten Tag aus der Rinde gekletzelt. Endlich war der ganze Wecken weg. Aber das Bäumlein war noch da, wenn auch kahl und leer, wie sie im Walde stehen. Der Nickerl ließ es auf die Leiste über sein Bettchen stellen. Und dort stand es gewißlich, bis die Nadeln begannen zu fallen. Dann nahm es die Mutter heim¬ lich weg, hackte es klein und legte es fast zärtlich auf das prasselnde Herdfeuer. 45

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