Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1957

Ich kam nach Hause, und nun war für den Christbaum alles beisammen. Aber da fiel wir ein, daß gerade noch etwas sehr Wichtiges fehlte. Die Kerzen. Ich hatte der kleinen Wachskerzen vergessen. Wo nehme ich sie her? In einem Bauernhaus ist für alles Rat. Zur Mutter ging ich und bat, ob sie mir nicht ihren roten Mariazeller Wachsstock leihen wollte. Sie langte nur in ihren Gewandkasten. Da hatte ich den Wachsstock. Dann wurde es Abend. Die Gesindeleute waren noch in den Ställen beschäftigt oder in den Kammern, wo sie sich nach der Sitte des Heiligen Abends die Köpfe wuschen und ihr Festgewand herrichteten. Die Mutter in der Küche buk die Christ¬ tagskrapfen. Der Vater ging mit dem kleinen Nickerl durch den Hof, um zu räu¬ chern. Wenige Jahre vorher hatte ich den Vater bei diesem priesterlichen Amte noch geholfen. Nun tat es schon das Brüderl und gewiß auch mit jener ehrfürchtigen An¬ dacht, die den Geheimnissen dieser Nacht gebührt. Dieweilen also die Leute alle draußen zu tun hatten, bereitete ich in der großen Stube den Christbaum. Das Bäumchen, das im Scheite stak, stellte ich auf den Tisch. Dann schnitt ich vom Wachsstock zehn oder zwölf Kerzchen und klebteie an die Astlein. Das plagte ein wenig, denn etliche wollten nicht kleben undfielen herab. Ich hätte sehr gern Geduld gehabt, um alles ordentlich zu machen. Aber Ge¬ jeden Augenblick konnte die Tür aufgehen und vorzeitig jemand hereinkommen. rade diese zitternde Hast, mit der sie behandelt wurden, benützten die Kerzchen, um mich ein wenig zu necken. Endlich aber wurden sie fromm, wie es sich für Christ¬ baumkerzchen geziemt, und hielten fest. Da hörte ich über der Stube auf dem Dachboden auch schon Tritte — lang¬ same und trippelnde. Sie waren schon da und segneten den Bodenraum. Bald wür¬ den sie in der Stube sein, mit der wir den Rauchgang zu beschließen pflegten. Ich zündete die Kerzen an und versteckte mich hinter dem Ofen. Noch war es still. Ich betrachtete vom Versteck aus das lichte Wunder, wie in dieser Stube nie ein ähn¬ liches gesehen worden. Die Lichtlein auf dem Baum brannten so still und feierlich als schwiegen sie mir himmlische Geheimnisse zu. Aber da fiel es mir ein, wenn ie niederbrannten bevor die Leute kommen! Wie konnte ich's denn hindern? Wie ollte ich sie denn zusammenrufen? Da konnte ja alles ganz dumm mißlingen! Es ist gar nicht so leicht, Christkindel zu sein, wie man glaubt. Endlich hörte ich an der Schwelle den Vater schuhglöckeln. Man wußte schon immer, wenn es so glöckelte, daß es der Vater war. Die Tür ging auf. Sie traten herein mit ihren Weihgefäßen und standen still. 44

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