Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1957

MARLEN HAUSHOFER DIE MAGD „So“, sagte mein Freund, „und jetzt muß ich noch auf den Friedhof gehen.“ Er kaufte beim Gärtner der kleinen Stadt einen großen Strauß bunter Astern undich begleitete ihn. Vor einem unscheinbaren Grab in der letzten Reihe blieb er stehen und begann das üppig wuchernde Unkrautauszureißen. Auf dem Holzkreuz stand zu lesen: Hier ruht in Gott das ehrengeachtete Fräulein Johanna Hinteregger. Ich schwieg und wartete. Der bunte Strauß leuchtete in herbstlichen Farben aus dem Friedhofsgras. „Sie wird sich freuen“, sagte mein Freund. „Astern waren ihre Lieblings¬ blumen. Er sah meinen fragenden Blick und fuhr fort: „Sie war unsere Magd, dreiunddreißig Jahre lang. Ich muß Dir von ihr erzählen, sie ist ein Stück meiner Jugend. Sie war mit fünfzehn Jahren zu uns gekommen, als meine Mutter ihr erstes Kind erwartete. Damals war sie zunächst Stallmagd und meine Mutter besorgte die Küche selber. Mutter war gerade neunzehn Jahre alt und von schwacher Gesundheit, als meine Schwester Susi zur Welt kam. Es fiel ihr ein bißchen schwer, dem großen Haushalt vorzustehen, denn, wie sie mir später erzählt hat, glaubte sie immer, in den Augen ihrer Untergebenen den stillen Vorwurf zu lesen: Du bist ja noch viel zu jung, der „Herr“ hätte besser eine ältere Frau geheiratet. Sie hatte einen schweren Stand und brachte sich in den ersten Ehejahren halb um vor Arbeit, um nur ja ihre Tüchtigkeit zu beweisen. Hanna, die junge Magd, ließ sich gut an. Sie war fleißig, verständig und doch noch ein ganzes Kind. Meine Mutter hatte sie gern und behandelte sie fast wie eine jüngere Schwester. Allerdings nicht allzu lange, denn später übernahm un¬ merklich die Magd die Führung. Meine Mutter wußte, daß es am besten war, dem klugen Mädchen freie Hand zu lassen, und gab zu allen Vorschlägen ihre Zu¬ stimmung. Meine erste Erinnerung an Hanna reicht weit zurück. Ich saß als ungefähr dreijähriger Bub auf ihrem Schoß, den Kopf schläfrig an ihre Brust gelehnt. Sie hatte sich einen Schemel vor den Herd gerückt und erzählte, daß die große, weiße Kuh heute Nacht ein Kalb bekommen werde. Meine Schwester stand vor der Ofentüre und stocherte mit einem langen Span in der Glut. „Hanni', sagte sie, „wo kommt das Kalb her? „Das ist im Bauch der Kuh gewachsen.“ Begeistert sah ich sie an. Daß so etwas möglich war! Ich bewunderte meine Schwester, daß ihr diese Frage eingefallen war. Sonderbarerweise gab sich diese mit der Auskunft zufrieden und stocherte weiter. Der rote Schein fiel auf Hannas Gesicht und ich fand es wunderschön. Ihre roten Backen glänzten wie polierte Apfel und das in dicke, blonde Zöpfe geflochtene Haar hing ihr über die Schultern Ich sah ihre großen Zähne leuchten und griff lachend darnach. Dann wickelte sie mich fest in ihre blaue Schürze. Warm und behaglich wurde es mir in ihren Armen. Ich hörte Susi noch einmal etwas fragen und Hanna lachen. Dann schlief ich ein. 34

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