Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1956

Der Wind konnte hier nicht so wüten: der Weg war glatt; das Pferd zog kräftiger an und Wladimir wurde ruhiger. Aber er fuhr und fuhr, und Shadrino war dennoch nicht zu finden; das Gehölz schien kein Ende zu nehmen. Zu seinem Schrecken gewahrte er, daß er in einen ihm unbekannten Wald geraten war. Verzweiflung bemächtigte sich seiner. Er gab dem Pferd die Peitsche; das arme Tier setzte sich in Trab, ließ aber bald wieder nach und schon nach einer Viertelstunde verfiel es in Schritt, trotz aller Bemühungen des unglücklichen Wladimir. Allmählich lichteten sich die Bäume und Wladimir fuhr zum Walde hinaus; von Shadrino keine Spur! Es mochte wohl schon Mitternacht sein. Tränen stürzten ihm aus den Augen; er fuhr aufs Geratewohl weiter. Der Sturm ließ nach, die Wolken verzogen sich; vor ihm breitete sich eine mit einem gewellten weißen Teppich bedeckte Ebene aus. Die Nacht war ziemlich klar. Nicht gar zu weit erblickte er ein kleines Dorf, das sich aus vier oder fünf Höfen zusammensetzte. Wladimir fuhr auf dieses Dorf los. Bei der ersten Hütte sprang er aus dem Schlitten, lief ans Fenster und klopfte. Nach einigen Minuten wurde der Fensterladen hochgeschoben und ein alterMann streckte seinen weißen Bart zum Fenster hinaus. „Was willst du? „Ist es noch weit bis Shadrino?“ „Ob es bis Shadrino noch weit ist?“ „Ja, ja! Ist es noch weit? „Nein, nicht weit, vielleicht ein Dutzend Werst.“ Bei dieser Antwort griff sich Wladimir ins Haar und stand regungslos da wie einzum Tode Verurteilter. „Woher kommst du denn?“ fuhr der Alte fort. Wladimir brachte es nicht über auf diese Frage zu antworten. sich, „Guter Alter, könntest du mir wohl Pferde nach Shadrino besorgen?“ „Wo haben wir denn Pferde? „Aber könnte ich nicht wenigstens einen Führer bekommen? Ich werde ihm bezahlen, was er verlangt.“ alles „Warte hier“, sagte der Alte, den Fensterladen herunterlassend, „ich schicke dir meinen Sohn. Der bringt dich hin.“ Wladimir wartete. Noch war keine Minute vergangen, als er schon wieder am Ladenklopfte. Der Laden ging hoch, der weiße Bart kam wieder zum Vorschein. willst du? „Was „Wie ist es mit deinem Sohn? „Er kommt gleich, er zieht sich die Stiefel an. Friert dich am Ende? Komm nurherein und wärme dich ein wenig.“ „Danke! Schicke nur deinen Sohn so bald als möglich.“ Die Pforte knarrte, der Bursch kam mit einem Knüttel; er ging voran und wies den Weg, oder suchte ihn, wenn der Weg vom Schnee verwehrt war. „Wieviel Uhr haben wir?“ fragte Wladimir. „Bald wird der Morgen grauen“, antwortete der junge Bauer. Wladimir sagtekein Wort mehr. Die Hähne krähten und es war schon hell, als sie in Shadrino eintrafen. Die Kirche war geschlossen. Wladimir entlohnte den Führer und fuhr auf den Hof des Priesterhauses. Seine Troika war nicht auf dem Hof zu sehen. Und welche Nach¬ richt erwartete ihn !... Kehren wir nun aber zu den trefflichen Besitzern von Nenaradowo zurück und sehen wir zu, was sich dort bei ihnen ereignet hatte. Nun — gar nichts! Die alten Herrschaften waren aufgewacht und hatten sich in den Salon be¬ geben; Gawrila Gawrilowitsch trug sein Käppchen und seine Friesjacke, während Paskowja Petrowna einen wattierten Schlafrock anhatte. Der Samowar wurde ge¬ bracht und Gawrila Gawrilowitsch schickte ein Mädel zu Marja Gawrilowna, um 71

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