Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1956

Seine Exzellenz war entzückend. Alle liebenswürdigen, so unendlich diszipli¬ nierten Eigenschaften des österreichischen Aristokraten schienen von ihm auszu¬ strahlen. Er duldete nicht, daß ich vor ihm stehen blieb, er ließ mich im rot=goldenen Fauteuil ihm gegenüber Platz nehmen und sah mich durch das Einglas, mit dem er auf die Welt gekommen zu sein schien, derart tröstlich ermutigend und welt¬ brüderlich an, daß ich mich, des Schicksalsaugenblickes ungeachtet, zusehends wohler, ja alsbald wie gänzlich bei ihm zu Hause zu fühlen begann. Und indes ich nun seine durchaus zweckentsprechenden und diskret vorgebrach¬ ten Fragen nach Herkunft und Vorstudien beantwortete, begann ich, ich kann es nicht anders sagen, in meiner angeregten Phantasie auf seltsam hochstaplerische Wege zu geraten. Ich sagte plötzlich zu mir selbst: Du, der du hier so stattlich auf dem seidigen Empirestuhl sitzt, du bist am Ende gar nicht der kleine stellesuchende Leutnant! Du bist Seiner Exzellenz durchaus ebenbürtig, bist Militärattaché einer befreundeten Macht, du tauschest eben Hochachtungsbezeugungen mit Seiner Ex¬ zellenz aus, den Ernst der Regierung im Rücken, du warst ja auch sonst bereits mit ihm beisammen, zum Beispiel unlängst bei der Jagd Ich mußte mich, dem vornehmen Milieu zuliebe, so angelegentlich in meine vornehme Verwandlung vertieft haben, daß ich längere Zeit verweilte, als die Notwendigkeit erforderte. Doch ließ sich Exzellenz nichts merken. Sie stand nur auf und bat mich, mir die Hand reichend, in ihrer bestrickend freundlichen Art, ich möge es ja nicht ver¬ säumen, der Frau Baronin respektvolle Grüße in aller Ehrerbietung zu über¬ bringen. Zugleich drückte Seine Exzellenz auf den Klingelknopf ihres Schreibtisches. Im Augenblick erschien auch schon der Sekretär. „Wollen Sie, bitte“, sagte Seine Exzellenz, „den Herrn Leutnant zum Herrn Hofrat führen, damit dort alles in die richtigen Wege geleitet wird.“ Ein huldvoller Wink mit der Hand, und ich warentlassen. Die Kanzlei des Herrn Hofrates befand sich nur etliche Türen weit. Ich wurde ohne weiteres vorgelassen und stand vor einem leicht ergrauten, fast nicht minder eleganten Herrn, als Seine Exzellenz es war. Er hätte auch ein höherer Militär sein können, der Strammheit seiner Haltung, seiner kurzangebundenen Rede nach. Er forderte mich auf, in dem lederüberzogenen Lehnstuhle Platz zu nehmen, der neben seinem Schreibtische stand. „Ihr Wunsch ist durchaus berechtigt“, nickte er freundlich. „Ich glaube, daß wir tüchtige Beamte jederzeit brauchen können. Ich bin nur leider im Augenblick derart beschäftigt, daß ich Sie bitten muß, sich zum Herrn Kanzleidirektor zu begeben, dort werden Sie die nötigen Aufklärungen ganz nachdem Wunsche Seiner Exzellenz erhalten.“ Er begleitete mich wohlwollend bis zur Tür und wies den Amtsdiener an, mich im Auftrage Seiner Exzellenz zum Herrn Kanzleidirektor zu führen. Den Mann, vor dem ich nun stand, kennen wir so ziemlich alle, die wir noch dem alten Österreich angehörten. Er ist beleibt, trägt einen Kaiserbart, hat einen etwas abgenutzten grauen Gehrock an und etwas halb wehmütig Müdes halb harm¬ los Vergnügliches im Gesicht, wie es eben die wechselnden Umstände des Staates und seine schwierigen Verrechnungen mit sich bringen. „Hm, hm“, begann er es war nirgends ein Stuhl da, auf dem Platz zu nehmen er mich hätte einladen können, „hm, hm, das ist alles recht schön, Herr Leutnant, aber haben Sie schon an die nötigen Prüfungen gedacht? Wir werden davon kaum absehen können, be¬ sonders was die Staatsverrechnungskunde anbetrifft. Wenn Sie aber fleißig sind, dürften Sie nach einem halben Jahre wohl so weit sein. Dann reichen Sie Ihr Gesuch ein, darüber wird Sie am besten Herr Oberoffizial Wondracek aufklären. Sie brauchen nur um die Ecke herumzugehen, erste Türe links. Es war mir ein Ver¬ gnügen, Herr Leutnant!“ Nachdem die Türe des Herrn Kanzleidirektors sich hinter mir geschlossen, stand ich eine Weile besinnlich still. Ich war doch ein rechtes Kind gewesen! Ich hatte ja die unerläßlichen Prüfungen gar nicht bedacht! Und gar „Staatsverrechnungs¬ kunde“! Und doch, was gab es Ehrliches auf Erden zu erlangen, vor das die Göt¬ 42

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