Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1955

Von meiner Mutter Von Peter Rosegger Ihr Leben war so eigenartig, ihr Leben war so gut, ihr Leben hatte eine Dornenkrone. Unser Hof war nicht klein und seiner Tage gut bestellt; aber meine Mut¬ spielte nicht die vornehme Bäuerin, sie war die Hausfrau und die Dienst¬ ter magd zugleich. Meine Mutter war gelehrt, sie konnte „Drucklesen“; das hatte sie von einem Köhler gelernt. Sie kannte die Biblische Geschichte auswendig, und sie wußte eine Anzahl von Sagen, Märchen und Liedern — das hatte sie von ihrer Mutter. Dabei war sie Beistand mit Rat und Tat, und sie verlor in keinem Unglück den Kopf und wußte immer das Rechte. —„So hat' meine Mutter getan, so hat' meine Mutter gesagt“ meinte sie stets, und das war ihre Lehre und Nachfolge, selbst als ihre Mutter schon lange im Kirchgarten ruhte. Die Armen kannten meine Mutter weit und breit; umsonst klopfte keiner an ihre Tür, hungrig ging keiner davon. Wenn sie jemand für wahrhaft arm hielt, der um ein Stück Brot bat, so gab sie einen halben Laib, und bat er reichte sie ihm auch ein Stück um ein „Gafterl“ (eine Handvoll) Mehl, so Schmalz dazu. Und „Gesegn' Euch 's Gott!“ sagte sie dazu — das sagte sie immer. „Wo werden wir hinkommen mit unserer Sach', wenn du alles der¬ schenkst?“ sprach zu ihr der Vater oft schier ungehalten. „Leicht gar in den Himmel hinauf“ antwortete sie; „meine Mutter hat oft gesagt, jedes „Der¬ Gott!“ von den Armen graben die Engel in den heiligen Thron Gottes gelt' Wie werden wir froh sein zu einer Zeit, wenn wir bei dem lieben Herr¬ ein. die Armen zu Fürbittern haben! gott Mein Vater fastete gern jeden Samstag und nahm oft keinen Bissen zu ehe die Schatten zu wachsen anhuben. Er tat das zu Ehren Unserer Lie¬ sich, den Frau. „Ich sag', Lenz, ein solches Fasten hilft nichts für eine gute Mei¬ nung“, versetzte da meine Mutter zuweilen; „was du heut' dabei ersparst, das kannst du morgen essen. Meine Mutter hat immer gesagt: „Was übrigbleibt durch das Fasten, das opfere der Armut Lasten.“ — Ich denk', sonst tut es nichts helfen.“ Mein Vater betete an den Abenden, besonders zur „Rosenkranzzeit“ an den Samstagen gern lange und laut, tat aber dabei allerhand Verrichtungen, als Schuhe nageln, Beinkleider ausflicken oder sich gar rasieren. Dabei verlor er nicht selten den Faden vom Gebet, so das ihm meine Mutter die Dinge oft aus den Händen nahm und rief; „Meiner Tag, was ist denn das für ein Beten! Knie zum Tisch und bei' drei Vaterunser mit Fleiß, ist besser als drei Rosenkränz, bei dem dir unter dem Herumbalgen der bös' Feind die guten Gedanken stiehlt!“ Wenn zuzeiten die Arbeit schwer war, so hielt meine Mutter viel auf einen „Wer lustig arbeitet, mag auch lustig essen“ meinte sie; „meine 6 guten Tisch. sich Mutter hat allweil gesagt: „Wer sich nichts traut anzubringen, der traut 3 er auch nichts zu gewinnen““ Mein Vater nahm vorlieb mit schmaler Kost; fürchtete immer den Ruin des Hauses. 37

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2