Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1955

fässer tragend. Das Grabmal des Herrn, bei dem die Genien Trauerlieder sangen, die Klageweiber aber mit Saitenspiel und Gesang ein Trauerkonzert veranstalteten. Schließlich die Zugposaunen, der Klerus und als Abschluß das fromme Volk.“ Das dies für Steyr ein außerordentliches Ereignis war, beweist nicht allein der Raum, den der Chronist dem Berichte einräumt, sondern auch das darin Beschriebene. Der Ablauf der Prozession muß auch ihn sehr stark beein¬ druckt haben, bot man doch offenkundig den ganzen dramatischen Apparat der Schule auf, um den Gläubigen das Karfreitagsgeschehen sinnfällig vor Augen zu führen und sie zur Buße und Bekehrung anzueifern“) Aufbau und technische Durchführung dieser Prozession verraten auf den ersten Blick die geübte Hand des Dramatikers. Es ist eigentlich schon keine Prozession mehr, sondern eher ein in Stummszenen aufgeführtes Passionsspiel. Die drei Akte des Dramas“) sind in den drei Teilen klar zu erkennen, die einzelnen Teile sind wie beim Drama in Szenen ausgegliedert. Ueberall treten die Wesenszüge barocken Denkens in voller Klarheit zutage, das in der Der¬ bindung von Natur und Uebernatur, Diesseits und Jenseits, Vergangenheit und Gegenwart so sichtbaren Ausdruck findet. Alle dramatischen Mittel jener Zeit werden auch zur Gestaltung der Prozession verwendet. Selbst die Bühne fehlt nicht, die eigens für die einzige gesprochene Szene aufgestellt wird (.. in ipso templi nostri atrio ... orgias aliquot edito cancellisque et gradibus ita instructo .. .). Hier zeigen sich auch die Fäden, die das Drama und die Pro¬ zession der Jesuiten mit dem Volksstück verbinden“). Der erste Teil stellt mit seinen auf Stangen und Gestellen getragenen Bildern eine allegorische Vorschau auf das künftige Geschehen dar. Mit Isaak, der das Holz für das Feuer trägt, auf dem er selbst geopfert werden soll, be¬ ginnend, wird die ganze Leidensgeschichte des Herrn an sechs Bildern des Alten Testamentes vorausgedeutet und zum besseren Verständnis werden Tafeln mit Erläuterungen mitgeführt. Bis dahin weicht dieser Teil nicht wesentlich von den damals üblichen Prozessionen ab. Anders verhält es sich mit dem zweiten Teil, der zum Unterschied vom ersten zur Gänze in lebenden Bildern gestaltet wird und den eine gesprochene Szene, welche die Verurtei¬ lung Christi zum Gegenstand hat, einleitet!). Hier verdichtet und verstärkt sich die Anwendung dramatischer Mittel bis zum gesprochenen Wort, die Prozes¬ sion ist in diesem Teil vollständig zum Drama geworden. Das Eigenartige an dieser Szene ist zunächst die Tatsache, das sie auf einer eigens hiezu ange¬ brachten Bühne spielt, ferner, das der Text sich nur aus den Worten der vier Evangelisten zusammensetzt). Die weiteren Bilder oder — um beim Vergleich mit dem Drama zu bleiben — Szenen rollen in der biblischen Reihenfolge ab: der gegeißelte und mit Dornen gekrönte Christus, umgeben von den Geißlern, 6— der kreuztragende Christus mit den Kreuzträgern. Dazwischen wie im Drama die Chöre— die Engel, die dem Erlöser huldigen, und Petrus mit den Insignien der Kirche; beide Bilder allegorisch vorausweisend und die Be¬ ziehung zur jenseitigen Welt und zur Kirche in der Gegenwart herstellend. Im 3. Teil folgt die Krönung des Erlösungswerkes; das hl. Kreuz, von der Kaise¬ ein Helena aufgefunden und von der Kirche gehütet, hat über Tod und Teufel gesiegt, sie in Ketten geschlagen, und wird im Triumphzug von Konstantin und seinen Rittern begleitet"). Jubelnde Musik geht voraus. Dieser Sieg aber war nur möglich durch den Tod Christi am Kreuze, der in der letzten Szene dieses gewaltigen Dramas durch den Leichenzug, in welchem das Grab Christi mitgeführt wird, seinen sinnbildlichen Ausdruck findet. Die kurze Verurteilungsszene auf der Bühne wurde ohne Zweifel lateinisch gesprochen, konnte doch ihr Inhalt, soweit er nicht durch die Mimik, Kostüme usw. ohnedies deutlich gemacht wurde, als bekannt vorausgesetzt werden. Mit der Schilderung dieser Prozession, die einen glanzvollen Höhepunkt 118

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