Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1953

Geschwächt kamen sie zurück und brachten obendrein noch die Pest mit, die gewaltige Opfer unter Militär und Zivil forderte. Mit anderen Worten: der Stand an Menschen, welcher die befestigte Grenze hätte verteidigen kön¬ nen, war stark dezimiert. Das wußte man auch im Norden. Durch Spionage erfuhr allerdings auch die Reichsregierung von den Gä¬ rungen im Satellitengebiet. Durch einen fingierten Einfall im Südosten des Reiches wurde das Reichsheer dorthin abgelenkt und ungehindert ergossen sich die Scharen der Germanen über das Land. Bis nach Italien kamen sie. Ver¬ hältnismäßig arg waren die Schäden längs der Hauptstraßen, also der Straße nach Italien und der Donauuferstraße. Juvavum wurde zerstört, auch Ovilava geschädigt. Von 167—171 dauerten die Kämpfe in der Provinz. Im Zuge der Gegenmaßnahmen stellte Marc Aurel in Italien zwei neue Legionen mit dem Beinamen Italica auf, die nach Abschluß der neuerlich versuchten (180 n. Chr.) und dann doch wieder gescheiterten Offensivpolitik (Roms Heere standen be¬ reits auf dem nördlichen Karpathenkamm, in Trentschin war ein Lager!) Standquartiere an der mittleren Donau bezogen. Die III Italica kam nach Regensburg, die II Italica baute bei Lorch ihr Lager, zunächst östlich der Enns im Raume von Albing. Doch bald zeigte sich, daß der Platz des alten Alen¬ kastells günstiger gewesen war und es wurde auch das Legionslager hierher verlegt. (Der größte Teil dieser Festung wurde von der Limeskommission der Wiener Akademie freigelegt.) Im Anschluß an das Lager entstand auf der Grundlage einer wohl nur unbedeutenden keltischen Siedlung —der Name Lauriacum ist keltisch — eine römische Stadt. Sie ist nicht wie die anderen langsam gewachsen, sondern entstand wahrscheinlich auf Befehl des Kaisers und erhielt bereits 212 n. Chr., also knapp ein Menschenalter nach Anlage der Festung vom Kaiser Caracalla das Statut eines Municipiums!). Das Ter¬ ritorium wurde ihr von den beiden Municipien Ovilava und Aelium Cetium zugewiesen. Im Westen bildete die Traun, im Osten die Erlauf die Grenze. Das Gebiet des Ennstales gehörte also zunächst zu zwei Stadtgebieten, das Westufer nach Wels, das Ostufer nach St. Pölten. Ob in Steyr selbst eine römische Siedlung bestanden hat, können wir nicht sicher sagen, annehmen möchte ich es, da an der Uebergangsstelle der oben erwähnten zweiten Ost¬ West=Straße sicher ein reger Verkehr geherrscht haben wird. Die Funde aus der Umgebung zeigen jedenfalls, daß die Gegend besiedelt war. In Pesendorf dürfen wir nach Funden vielleicht auf einen Gutshof schließen, ebenso nach den Grabsteinen in Gründberg und Sierning. Das Grab von Moos zeigt uns, daß längs der Straße Enns—Steyr Siedlungen zu vermuten sind. Die Streu¬ unde von Hofkirchen und Kronstorf beweisen nur, daß die Gegend begangen war. Dichter besiedelt wird das Ostufer gewesen sein, was wir aus den 24 Skelettgräbern von Ernsthofen schließen können. Sie gehören bereits dem 3. Jahrhundert an und zeigen die neue Sitte des Begrabens, die an die Stelle des Verbrennens getreten ist. Damals lag Steyr nicht mehr an der Grenze der zwei Stadtbezirke von Wels und St. Pölten, sondern gehörte zum neu gegründeten Municipium Lauriacum. Mit Lauriacum hat das römische Reich die letzte große Stadt in Noricum gegründet. Bald danach wurde das Leben an der Grenze hart und unsicher. Immer häufiger brachen Germanen über die Grenze, verwüsteten Bürger¬ kriege das Land, mußte der Bauer seinen Hof schützen, wie uns erst unlängst eine Grabung bei Wimsbach lehrte. Das Land war bereits christianisiert, in Enns hatte Florianus als Mär¬ tyrer sein Leben ausgehaucht und in Lorch residierte ein christlicher Bischof neben dem Militärbefehlshaber. Noricum war in zwei Provinzen geteilt worden, einen Grenzbezirk an der Donau, Noricum ripense, und gesicherter 1) Landstadt, Kreisstadt (Anmerkung der Schriftleitung). 89

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