Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1953

Schüssen an die Fenster, auf der Straße war immerfort Wagenlärm, einmal ein wilder Chorgesang und ein verirrtes Hornsignal. Der Krieg störte nicht das seltsame Mahl, den müden Greis Aquino, der nur von den Früchten nahm und keinen Wein trank, die beiden jungen Leute, die in der vorigen Stunde einander noch fremd gewesen waren, und nun an dem Tische saßen wie ein Liebespaar. Es gingen ihre Blicke von Antlitz zu Antlitz, und es rede¬ ten, jedes in seiner Sprache, zueinander, lächelnd, mit vieler Bewegung ihrer Hände, wie es sonst nicht ihre Art sein mochte, oh, es ist ein Irrtum, zu meinen, daß man immer die Sprache des anderen gebrauchen müßte, um ihm ver¬ ständlich zu sein. Anfangs dachte der Fähnrich Seraphim wohl daran, den Kor¬ poral Moro zum Weine zu rufen oder irgendeinen anderen Soldaten, der in der Zunge des Landes spräche, aber er bedachte, daß er das Dasein des Mäd¬ chens nicht den Soldaten verraten dürfte, und bald war es ihm auch gewiß wie es von süßerem Reize wäre, den Sinn aller Worte zu ahnen und ahnen zu lassen; und da ihn aus dem Weine ein leiser Rausch überkam, sagte er dem * Mädchen alles, das seinem jäh verwirrten Herzen zuliebe gesprochen sein mußte, und nichts hinderte ihn zu glauben, auch sie spräche manches, das sonst ein keusches Herz verschweigen mußte. Es war eine Liebe ohne Namen, ein Gefühl ohne irdischen Klang, in dem sie sich einen Abend lang verloren, es schwebte zwischen ihnen ein Glück, wie es unter tausend Paaren immer nur einem Jüngling und einem jungen Mädchen beschieden sein kann. „Buona sera“, sagte zum Abschied Pia de Pretis, da es ihr nun gewiß war, daß es die einzigen italienischen Worte seien, die er zu gebrauchen ver¬ stünde, und sie drückte ihn, da er ihr in einer heftigeren Anwandlung folgen wollte, mit den Fingerspitzen über die Schwelle zurück. Es war die einzige Berührung ihrer Leiber. Der Fähnrich Seraphim wich in der Nacht nicht von dieser Schwelle. Er hörte johlende Soldaten, er hörte Schritte und Befehle der Wachen, Gewehrschüsse und einmal auch kurze Geschützdonner. Er bewachte das friaulische Mädchen vor Ruthenen und Bosniaken, vor den eigenen Leu¬ ten, er glaubte sie nach Mitternacht im Hause zu hören, er bewachte es vor einer Gefahr, die keinen Namen hatte, und zuletzt vor sich selber. Vielleicht behütete er es für einen Kameraden im feindlichen Heere, für einen jungen Offizier, wie er einer war, es schmerzte ihn, dieses zu denken, es litt ihn nicht in der Finsternis, und er zündete wieder eine Kerze an der Wand an. Im kargen Lichte dachte er daran, daß der italienische Bräutigam vielleicht schon tot war, auf dem großen Rückzug gefallen, und morgen kam ein neuer Tag nach Timau, zehn Fingerspitzen mußten nicht immer so stark sein wie an diesem Abend. Er wußte nicht, daß Pia de Pretis wachend lag und an ihn dachte, sie wußte nicht, daß der Alarm in der frühen Dämmerung dem Fähn¬ rich Seraphim galt. Das Laub war in der Nacht verwelkt und von den Kap¬ pen gefallen, die Soldaten traten achtlos auf die toten Blätter, da sie sich flu¬ chend erhoben. — Und denket euch so grausam ist das Leben — der Fähnrich Seraphim fiel noch in diesen Morgenstunden draußen vor Timau durch eine der dum¬ men Kugeln, die wie wilde Hornisse jede Kompagnie im Krieg umschwärmen. Man begrub ihn am Vormittag im Friedhofe von Timau, eine Bosniaken¬ kapelle spielte ihm zuletzt noch auf, seine eigenen Leute hatten weiter gemußt. Ja, sie begruben ihn, vielleicht nur tausend Schritte von Pia de Pretis ent¬ fernt — und sie wußte es nicht.

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