Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1953

stücke ringsum, der Schrank, das Kanapee, das Instrument, Auf allem hatte des Ewigen Hand geruht, ihre Macht war so groß, größer als alles Eigen¬ leben! Nun aber gewann dieses Leben Gestalt und heischte sein Recht. Georg von Nissen sah, wie rot der Mund, wie schön die weißen Zähne waren, wie reizvoll sich das Haar kräuselte über der niederen Stirne, wie die zarte, aber reife Brust sich anmutig bewegte, wenn sie ihm eine Frucht bot, wie die ein¬ fachste Geste zu sagen wußte: „Ich liebe dich! Ich liebe dich!“ Eine Zeitlang gab Georg von Nissen sich diesem Gefühle hin und dem leichten Pulsen seines Blutes. Immer weiter zurück trat der Raum mit den onst so bedeutungsvollen Dingen, in immer reicheren Farben schmückte sich das Bild der Frau. Bunter und schärfer in Linie und Gestalt trat es in seinen Blick, überdeutlich, schmerzend fast. Ein leises Gefühl der Unruhe, fast der beginnen¬ den Angst, stieg in ihm auf, einer dumpfen Verwirrung. Constanze hatte sich zurückgelehnt in einem selig entspannenden Dehnen. „Jetzt“, sagte sie, „jetzt müßten wir Musik hören! Eine Musik, in der wir sinken und alles vergessen können! per Musik, Musik! Das Wort trug für Georg von Nissen vertrauten, retten¬ den Klang. In allen Zweifeln und Nöten des Lebens hatte er sich in ihren Schutz geflüchtet. Angst und Verwirrung vergingen, als er die guten, kühlen Tasten fühlte. Aber die Macht der Stunde war so stark in ihm, ihr Rhythmus fieberte leise in seinen Sinnen, auch die Musik mußte ihn tragen. Langsam klang eine Andante auf; hilflos zerbrach es. Ein paar Herzschläge von Span¬ nung erfüllte Stille, ein paar prüfende Akkorde, dann perlt, quillt, braust die Champagnerarie durch den Raum. Immer wieder beginnt Georg von Nissen, in immer wilderem Rhythmus rast das göttliche Teufelslied. Er fühlt, wie er sich durch die Musik befreit, wie das fiebernde Blut sich zur herrlichen Leichtigkeit löst, wie alles von wunder¬ baren Schwingen getragen wird, zu Höhen, die keinen Zweifel mehr kennen, keine Verwirrung, keine Angst, in denen alles göttlich klar ist und ohne Schwere. Aber das Lied treibt seine Sinne auf zu steigender Glut. Alle Dämo¬ nen, die unter seiner Hand aus den fügsamen Tasten steigen, zu immer hei¬ ßerem Leben, kehren in sein Blut zurück, lassen es aufschäumen zu nie gekann¬ tem Rausch. Nun trifft sein Blick die Frau. Auf ihren Wangen liegt der Wider¬ schein der Glut, die ihn durchfließt, ihr Leib löst sich in den Rhythmen, nun tritt sie langsam nahe, langsam, jeden Schritt genießend, nun steht sie an seiner Seite, nun beugt sie sich zu ihm nieder, nun umschlingt sie ihn, noch immer spielt er, noch immer tönt das Lied, dann vergleitet es, verstummt, aber in ihnen rast es weiter, in ihrem rauschenden Flug über die Erde hin, in ihrem Sturm durch das Flammenmeer, bis in die Tiefen betäubenden Versinkens klingt es ihnen nach. Georg Nicolaus von Nissen fährt aus dem Schlaf. Eine Hand hat ihn be¬ rührt. In irdischer Ruhe neben ihm die satten Atemzüge der Frau. Schwüler Duft steigt von ihr auf, bringt dem Manne Erinnern, das ihn niederziehen will in neues Vergessen. Da rührt ihn wieder die Hand, nicht mehr traumhaft schon voll Befehls. Jähe Furcht springt Georg von Nissen an, er sucht Schutz in dem warmen, unbekümmerten Leben, es umfängt ihn nicht mehr, es ist ihm ferne, es versinkt immer tiefer, in eine so ferne Fremde, als hätte es ihm nie gehört. Dann ist es wieder höhnend nahe, drängt sich in das kühle Dunkel, weckt das Erinnern an die letzten Stunden, traumlos in jedem Stammelwort, in jeder Geste. Schamlos nackt enthüllt sich die Lust, ist Vorwurf, ist Qual, ist Schuld, dumpfe, nur geahnte Schuld vorerst. Aber feindlich wehen die un¬ bekümmerten Atemzüge der Frau, drohend drängt der schwüle Duft in die hohe Nacht, die immer gebietender aufwächst. Und abermals rührt ihn die kühle Hand. Er ergreift sie. Sie bringt 64

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2