Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1953

Gassen drunten schon in nächtliche Stille versanken und nur die beiden Ker¬ zen auf dem Instrumente, von keinem Hauch bewegt, brannten, als leuchteten sie nicht dem Leben, da sprachen auch die Dinge nicht mehr, da wurden auch ie in jene unfaßbare Ferne gerückt, wie jener, dessen Hand sie berührt, dessen Blick auf ihnen geruht, dessen Auge nun, von allem Körperlichen gespenstig gelöst, aus dem den Raum ins Unbestimmte weitenden Dunkel sah, nur von einem leisen Erschauern des Einsamen gefühlt. Ein Luftzug bog die Lichter nieder, eine helle Lampe verströmte ihren Schein, Constanzens Hand hielt sie hoch wie ein Licht des Lebens. Sie setzte sie auf den Tisch, wieder war der Raum eng und bestimmt, sie löschte die Kerzen. „Puh“, lachte sie, „wie das riecht! Nach Grab und Trauer! Und heute soll doch“, sie trat nahe an den Mann heran und schmiegte sich an ihn, „alles nur Leben sein, Leben, Leben!“ Georg von Nissen fühlte ihre Nähe, ihren warmen Leib, der jähe Ge¬ gensatz verwirrte ihn. Trotz ihrer jahrelangen Bekanntschaft hatte er die Frau noch nie so nahe gefühlt. Regungslos verharrte er, wagte sich kaum zu rühren. „Ach du“, rief Constanze, „das nenne ich mir einen Galan! Am Hochzeits¬ abend steif dazustehen, wie ein Holzstock! Warte, ich will dich wohl antreiben! Da, sieh, was ich gebracht habe! Daran hättest du natürlich nicht gedacht!“ Sie eilte nach dem Vorraum, brachte ein Körbchen mit Süßigkeiten und kandierten Früchten und zwei Flaschen Schaumwein. „Hilf mir doch!“ schalt sie. Ungelenk war er bestrebt, ihr zu Willen zu sein. „Das Beste und Feinste! Ich habe es vor den Gästen bewahrt, für uns! Nur für uns beide! Nun, ist das nicht aimable von mir? Und du findest kein liebes Wort!“ „Gewiß, Constanze, du bist gut! Du bist gut!“ Er strich mit der Hand über ihr Haar, in zarter Liebkosung. Und mußte in diesem Augenblick daran den¬ ken, daß auf diesem Haare eine andere Hand geruht hatte. „Ach, das ist ja alles so kühl! Sag, bist du denn nicht ein klein wenig glücklich? Daß wir einander endlich gehören?“ „Oh, ich bin glücklich, ich vermag nur nicht, es so zu weisen ...“ 77 „Ich weiß ja“, lachte Constanze, „ich weiß... Sie hängte sich in seinen Arm und ging mit ihm durch das Zimmer in einem leicht angedeuteten Tanz¬ schritt, führte ihn zum Kanapee. „Da, setze dich noch ein wenig zu mir!“ Wie¬ der schmiegte sie sich an ihn, aber die Bewegung trug etwas Kindliches, Schutz¬ suchendes. „Ich fühle mich“, sagte sie leise, „so sicher in deiner Nähe, so ruhig bin ich und so geborgen. Ich weiß, was du in der nächsten Minute, Stunde, am nächsten Tage, was du in aller Zukunft tun wirst. So ganz anders ist es die Stimme sank zum Flüstern, „als es war. Manchmal, da saß er neben mir und hielt mich im Arm wie ein Kind, aber im nächsten Augenblick schon riß er mich an sich, daß mir der Atem schwand, und dann wieder stieß er mich zurück und ließ mich allein, Tage, Wochen, Monate. Und war so weit, daß ich mich fürchtete. Du bist nah, vor Dir werde ich nie Furcht empfinden. So nah bist du! Komm noch näher, dicht zu mir!“ Das Kindliche, Schutzsuchende schwand, heißer fühlte er ihre Nähe, ihre Lippen suchten seinen Mund, sie küßte ihn, nicht in jäher, aber in wachsender Glut. „So“, rief sie dann, „nun trinken wir! Oeffne die Flasche! Schenke ein! Und laß uns anstoßen! Auf unser Glück!“ Georg von Nissen trank. Bedächtig, wie es seine Art war, aber erfühlte doch, wie der Trank ihn allmählich von der Schwere seines Blutes befreite. Leichteren Blickes betrachtete er die Frau, als sähe er sie zum ersten Male. Er hatte sie nie allein für sich gesehen, immer war sie ihm ein Teil des Ganzen gewesen, der Welt, darin er ehrfürchtig lebte, nichts anderes war sie ihm ge¬ wesen, als die Kinder, ja seltsam, grausam fast der Gedanke!: als die Möbel¬ 63

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