Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1953

Als ich zum erstenmal Peter Rosegger auf dem Dampfwagen saß Mein Pate, der Jochem — er ruhe in Frieden! — war ein Mann, der alles glaubte, nur nicht das Natürliche. Das Wenige von Menschenwerken, was er begreifen konnte, war ihm göttlichen Ursprungs; das Viele, was er nicht begreifen konnte, war ihm Hexerei und Teufelsspuk. Abgesehen davon war mein Pate ein gescheiter Mann. Ich verdankte ihm manches neue Leinen¬ höslein und manchen verdorbenen Magen. Sein Trost gegen die Anfechtungen des bösen Feindes und sein Vertrauen war die Wallfahrtskirche Maria Schutz am Semmering. Es war eine Tagreise dahin und der Jochem machte alljährlich einmal den Weg. Als ich schon hübsch zu Fuße war (ich und das Zicklein waren die einzigen Wesen, die mein Vater nicht einzuholen vermochte, wenn er uns mit der Peitsche nachlief), wollte der Pate Jochem auch mich einmal mitnehmen nach Maria Schutz. „Meinetweg““, sagte mein Vater, „da kann der Bub gleich die neue Eisen¬ bahn sehen, die sie über den Semmering jetzt gebaut haben. Das Loch durch den Berg soll schon fertig sein.“ „Behüt uns der Herr“, rief der Pate, „daß wir das Teufelszeug anschaun, 's ist alles Blendwerk, 's ist alles nicht wahr!“ „Kann auch sein“, sagte mein Vater und ging davon. Ich und der Pate machten uns auf den Weg; wir gingen über das Stuhl¬ eckgebirge, um ja dem Tale nicht in die Nähe zu kommen, in welchem nach der Leut' Reden der Teufelswagen auf und ab ging. Als wir aber auf dem hohen Berge standen und hinabschauten auf den Spitalerboden, sahen wir einer scharfen Linie entlang einen braunen Wurm kriechen und darüber ein Rauchwölklein schweben. „Jessas Maron!“ schrie mein Pate, „das ist schon so was! Spring, Bub!“ Und wir liefen die entgegengesetzte Seite des Berges hinunter. Gegen Abend kamen wir in die Niederung, doch —entweder der Pate war hier nicht wegkundig oder es hatte ihn die Neugierde, die ihm zuweilen arg zusetzte, überlistet oder wir waren auf eine „Irrwurzen“ gestiegen —an¬ statt in Maria Schutz zu sein, standen wir vor einem ungeheuren Schutthaufen und hinter demselben war ein kohlfinsteres Loch in den Berg hinein. Das Loch war schier so groß, daß darin ein Haus hätte stehen können, und gar mit Fleiß und Schick ausgemauert; und da ging eine Straße mit zwei eisernen Leisten daher und schnurgerade in den Berg hinein. Mein Pate stand lange schweigend da und schüttelte den Kopf; endlich murmelte er: „Jetzt stehen wir da. Das wird die neumodische Landstraßen sein. Aber derlogen ist's daß sie da hineinfahren! Kalt wie Grabesluft wehte es aus dem Loche. Weiter hin gegen Spital in der Abendsonne stand an der eisernen Straße ein gemauertes Häuschen; davor ragte eine hohe Stange, auf dieser baumelten zwei blutrote Kugeln. Plötzlich rauschte es an der Stange und eine der Kugeln ging wie von Geisterhand gezogen in die Höhe. Wir erschraken baß. Daß es hier mit rechten Dingen nicht zuginge, war leicht zu merken. Doch standen wir wie festgewurzelt. 43

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2