Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1949

heit starben, sah ich die Mutter das erstemal weinen. Wir anderen weinten mit ihr und weinten fortan immer, so oft wir die Mutterträne sahen. Und das war von dieser Zeit an gar oft. Zwei Jahre lang lag der Vater auf dem Krankenbette. Wir hatten Unglück an Hof und Feld, Hagel und Viehseuche kam, unsere Kornmühle brannte nieder. Da weinte die Mutter im Verborgenen, daß wir Kinder es nicht hätten sehen sollen. Und sie arbeitete unablässig, sie grämte sich und wurde endlich krank. Die Aerzte der ganzen Gegend wurden herbeigezogen; sie konnten nicht helfen. Trotz aller Lustigkeit, die so oft gewesen, waren wir arme Leute ge¬ worden. Die Fahrnisset waren alle weg, von dem ganzen, großen Besitztume blieb uns nichts als die Steuern. Nun beschloß mein Vater, den verschuldeten Hof so gut als möglich zu veräußern. Aber die Mutter wollte nicht, sie arbeitete, wenn auch krank, allfort mit Müh' und Fleiß und ließ die Hoffnung nicht sinken. Sie konnte den Ge¬ danken nicht fassen, daß sie fort sollte von ihrer Heimstätte, von dem Geburts¬ hause ihrer Kinder. Sie verleugnete ihre Krankheit, sie sagte, sie sei nie ge¬ sünder gewesen als nun, und nun wollte sie arbeiten für drei. Meine Geschwister glaubten auch, sie könnten das Heimathaus nicht lassen; dabei hatten sie kein gutes Paar Schuhe mehr anzuziehen. Und die Mutter, wenn sie einmal in die Pfarrkirche gehen wollte, mußte sich von irgend einem Holzknechtweib ein Jöpplein ausborgen; das noch keine Flicken hatte. Und von allem die höchste Pein war der Hochmut der Leute und der Hohn, wenn sie doch zuweilen eine Beihilfe leisteten. Sie hatten die Wohltaten vergessen, die meine Mutter einst nach ihrem Vermögen jedem angedeihen ließ. Damals war sie die geachtetste Bäuerin in den Waldhäusern. Aber — das Unglück frißt die Freunde! Das hatte auch ihre Mutter, die Köhlerin, oft gesagt. Aus jener traurigen Zeit, da meine Mutter krank war, will ich hier ein Erlebnis erzählen. Es beginnt mit einem sonnenfreudigen Pfingsten. An jenem sonnenfreudigen Pfingstmontag war sie neununddreißig Jahre alt gewesen. Es war lustig. Die Saaten standen grün auf den Feldern und auf der hohen Weide grasten die Herden, die zwar nicht uns gehörten, sondern dem Nachbar, an denen wir uns aber doch freuten, weil sie munter und leibig waren. Mein Vater hatte die Steuer des vorigen Jahres bereits gezahlt, die wirtschaftlichen Verhältnisse, die während der mehrjährigen Krankheit des Vaters zerrüttet worden waren, schienen sich allmählich zu ordnen und damit stiegen wir auch wieder im Ansehen der Leute. Wir gingen an diesem Tage zusammen über die Auen und die Kleinen sammelten Blumen und die Großen lobten durch ein heiteres Wort oder durch ein Lied die Werke unseres lieben Gottes. Da setzte sich die Mutter auf einen Stein und wollte sterben. Wir schleppten sie nach Hause, wir legten sie auf's Bett, wo sie lange lag — wochenlang, monatelang. Alle Nachbarn kamen und brachten wohlgemein¬ ten Trost; alle Aerzte der weiten Umgegend kamen und brachten wohlgemeinte Medizin. Die Kranke war, wie man hinter ihrem Rücken zugestand, vom Schlage gerührt, sie siechte. Als aber der kühle Herbst kam, da wurde ihr besser, sie lag nun tagsüber nicht mehr im Bette, sie saß auf der Ofenbank oder am Tische, wo die Kinder spielten, oder am Herde, wo sie den ungelenken Vater im Kochen unterwies. Sie war nicht heiter und war nicht betrübt, sie war ruhig und hatte keine Klage — nur wenn sie allein war, machte sie bis¬ weilen einen schweren Seufzer. So verging der Winter, es kam wieder das liebliche Pfingsten und die Mutter war krank. 1) Die Wagen und sonstige größere Wirtschaftsgeräte, der Viehstand, überhaupt die beweglichen Güter eines Wirtschaftsbesitzers. 76

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