Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1927

86 messenen Geschichten Platz machten. Im¬ mer heiterer, immer lustiger wurde der Kreis und als die Trauergäste endlich gegen Abend hin aufbrachen, schüttelten und stießen sie sich noch vor lauter Lachen. Gott hab sie selig! Von allen, die der Verstorbenen die letzte Ehre gegeben, war Karl der einzige, der es auch in ehrfürchtiger Trauer gekan. Hatte er auch nie eine Mutter, wie sie andere Kinder haben, so war er doch nie zu einem solchen Vergleiche gekom¬ men; innig liebte er sie und seit er etwas mehr denken konnte, brachte ihm diese Liebe auch Sorge und Bangigkeit, die täglich wuchsen und sich mehrten, so daß allgemach zwischen ihm und ihr die Rolle des Kindes zur Mutter sich vertauschte. Schon die noch ungeschickten Kinderhände hatten dies Werk begonnen. Zuerst nur da und dort ein gelegentlicher Handgriff in der Küche, im Hause, dann wurde immer mehr daraus, je mehr eben die Mutter ihrem seltsamen Wesen, ihrem krankhaften Hange zur Träumerei, wie es der Vater nannte, verfiel. das Sie war das Kind geworden, be¬ täglich, stündlich Arbeit und Sorge reitete; er, der frische Knabe mit den hellen Augen versah die Sorgen de Hausfrau und es war wunderbar, wie sich der grobknochige Knabe in die Auf¬ gabe weicher Häuslichkeit teilte. Mußten auch manche Dinge, die sonst eine Haus¬ frau selbst besorgt, außer Haus gegeben werden, so kam doch das Frühstück und Abendmahl vom eigenen Herde und mil kleiner Flickarbeit wurde niemand be¬ lästigt. Die Not erzog ganz von selbst eine so geschäftige, hilfsbereite Ark an dem Knaben, daß auch sein Schulerfolg nichts zu wünschen übrig ließ und der Mode¬ und Schnittwarenhändler Zeilinger ihn gerne in seine Lehre nahm. Vier Jahre fast stand nun Karl in dem großen Geschäfte am Platze, in allem hatte er sich tüchtig umgesehen und war stets so artig, daß ihn die besten Kunden bei ihrer Bedienung gerne verlangten. Unverdrossen hielt er da selbst den wäh¬ lerischesten Launen stand und keine Kunde ließ er unbefriedigt. Heute hätte er den ganzen Tag frei gehabt, er war aber doch gekommen, wenngleich er die bunte Geschäftigkeit nicht ertragen konnte. Mit weinendem Aug' und gepreßtem Herzen machte er ich in den Lagerräumen mit süillerer Ar¬ beit nützlich, die sonst der jüngste Lehr¬ ling trieb. So verging die Zeit bis zum Abend bald und als er nach diesem Tage zu Bette ging, da dachte er noch lange nach, was er nun wohl mit dem neuen Kleide anfangen soll, das er aus seinen geringen Ersparnissen für die Mutter hatte machen lassen. — Das war ein langes Sparen gewesen, aber die Mutter hatte das fertige Kleid nicht erlebt. Nur wenige Monate wären es noch bis zu seiner Freisprechung hin gewesen, dann hätte ihm die Mutter die Freude tun müssen, ihr ewig schwarzes Kleid gegen sein Geschenk umzutauschen. Der gute Junge glaubte sogar, daß es sich dann vielleicht auch um die Mutter an¬ ders gestellt haben würde, es bald mit einer „stillen Wettl“, wie er seine liebe Mutter manchesmal schmerzlich nennen hörte, vorbei gewesen wäre. Vorbei viel¬ leicht auch das unstete Herumwandern in allen Gassen. — Und nun war es ganz. anders gekommen, jetzt war alles vorbei! und aus seinem jungen Herzen schluchzte ein tiefes Leid. Der alte Steighuber, der das Schluch¬ zen seines Sohnes, mit dem er die Schlaf¬ kammer teilte, hörte, erklärlicherweise auch von mancherlei an seinem sonst so ge¬ rechten Geschnarche gehindert ward, rief ihn in seinem gutmütigsten Tone: „Karl, chlafst nicht noch?“ „Vater nein. Und nun bekam die lauschende Nacht Frage um Frage zu hören, aber die Nacht war dunkel und still und gab keine Antwort. Wer wohl heute die Kaiserglocke geläutet haben mag? Ich hab mich nach allem erkundet; in ganz Dingstadt gabs keinen Anlaß hiezu. Es ist zu fonderbar; ie klang während des ganzen Ganges bis zum Grabe hin.

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