Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1926

86 der Zug an dieser Stelle vorbeigerast sein wird so wird das eine Gefahr be¬ deuten. Wer auf die Strecke geht, spielt mit der Gefahr der Entgleisung. Immer tiefer gräbt sich Edwin Mals in diese unklaren Gänge schwerer Gedanken ein. Neben ihm steht Eva, wartend, lauernd, siegessicher. Und dann faucht eine Rauchfahne aus dem dunklen Tunnel, und der Zug, der zweite Zug, der nach Süden hastet, sticht schwarz in die helle Land¬ chaft heraus. Edwin Mals geht ihm mit den Augen entgegen. Tastet von ferne mit seinen Blicken alle die heran¬ rollenden Abteile ab. Aengstlich, suchend ungewiß. Wie ein Blitz erleuchtet ihn die Vorstellung: wenn der Zug an mir vor¬ beifährt, bedeutet dies Gefahr. Höchste Gefahr. Er ist wie besessen von dieser Idee. Und plötzlich, als triebe ihn eine unergründliche Macht, reißt er sich von seiner Begleiterin los und stürzt die wenigen Schritte des Abhanges hinunter. pflanzt sich mitten ins Geleis hinein und —winkt — winkt. winkt Mit schütterndem Ruck, in wenigen Sekunden im eiligen Laufe gelähmt, hält der Zug. Von der Maschine springt der er¬ Führer. Aus allen Abteilen quellen regte Menschenköpfe. Edwin Mals tehl — neben dem gebändigten Zug und sieht starr, fragend all die vielen Menschen an. In einem Abteil steht eine braune Frau und drückt ängstlich ein Kind an sich. Sie ist nicht genau zu sehen, aber er erkennt diese Züge, diese geliebten Züge, dieses Gesicht, in denen, über alles Abenteuer hinaus, die Heimat seines Lebens ist. Verwirrt wimmelt es über die Strecke. Ein ungewisses steht fragend im Geleis. Niemand weiß, wer den Zug — — wo anhielt. Ein Mann war es aber ist er? Und warum winkte er? Er ist wie fortgelöscht. Und steht, übersehen und unbemerkt doch neben demdampfenden Zug. Warum hat der Mann den Zug zum Stehen gebracht? Das Begleit¬ personal geht die Strecke ab. Da, plößz¬ — ein Schrei —— lich die Schienen ind gelockert, durch die Erschütterung des voranfahrenden Zuges gelöst. Eine Entgleisung wäre bei diesem Schienen¬ bruch unvermeidlich gewesen. Edwin Mals hört das alles, als ob es ein dumpfer Traum an ihn herantrüge. Und ihm ist, als schliche sich der Tod wie ein geprügelter Hund von der Strecke fort in den Wald hinauf. Glück ist in ihm und liefe Be¬ schämung. Er breitet die Hand vor sein Gesicht und streichelt, unkenntlich den Wagen, in dem zwei Menschen sind, zu denen er gehört. Und dann geht er in sein Hotel, schließt die Augen und wartet. Nach einer Stunde zischt es auf der Strecke. Der Zug fährt weiter nach Süden. Eva wartet abends vergeblich auf ein Wiedersehen. Das Stubenmädchen brachte ihr einen Brief und sagte, Herr Mals wäre abgereist und hätte diesen Brief abge¬ geben für sie. In dem Brief stand nur dies „Wohl dem, der schon die Reife des Alters und die Erkenntnis der Ge¬ ahren hat. Und die Züge, die auf der Strecke des Lebens rollen, vor Entglei¬ ung bewahrt. Lebe wohl, Junge, ich — reise nach Suden!“

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2