Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1926

kommen können? Hier prallten zwei Welten aufeinander; eine Versöhnung war da ausgeschlossen. Einer von beiden wußte weichen. War es nicht hier wie an all den anderen Orten, die er bei seinen zahllosen Umzügen schon kennen gelernt hatte? In der Folgezeit herrschte auf dem Hofe eine auffällige Ruhe. Nur ein kurzes Blaffen ertönte dann und wann, ein Knurren, ein leises Jaulen. Was mochte ich dahinter verstecken? Der gepeinigte Mann wagte es nicht, bei dem Tiere auf eine Sinnesveränderung zu schließen, weil eine Enttäuschung seiner verbliebenen Körperlichkeit ohne weiteres den Rest gegeben hätte. Aber von Dankbarkeit erfüllt, sammelte er eines Tages an Ab¬ fällen, was er auftreiben konnte, und begab sich damit ins Nachbarhaus. Der Schutzmann kam ihm strahlend entgegen: „Sie kommen gerade recht, Herr Nachbar. Denken Sie mal diesen Gottessegen: Bella hat heute gejungt! Sieben auf einen Wurf! Lauter prächtige Rassedoggen! Drei davon will ich behalten zur Dressur, die anderen gebe ich ab Mein Nachbar zur Linken nimmt einen, und Nachbar Lodenberg will gleich zwei haben; nach dem letzten Einbruch in seinen Zeugladen ist er endlich schlau geworden. Wollen Sie nicht auch einen? So ein alleinstehender Herr mit einem Hund auf der Straße, das macht sich. Gottlieb wurde es schwarz vor den Augen. Er hatte keinen Blick für das Tier, das mit einer rührenden Besorgnis um seine Kleinen bemüht war, wie man sie ihm gar nicht zutrauen sollte. Er sal im Geiste die sieben Jungen zu aus¬ gewachsenen Kläffern gediehen, auf die Höfe der Nachbarschaft verteilt, und wie gelähmt von dieser Vorstellung wankte er hinaus. Während der Nacht quälte ihn ein entsetzlicher Traum: Er stand mitten auf dem Hofe des Nachbars Rasselbarth Bella, ins Riesenhafte angeschwollen, 81 lehnte mit den Vorderpfoten auf seinen Schultern, während aus dem weit¬ geöffneten und wie sinnlos kläffenden Ra¬ hen Dampf und Geifer ihm ins Gesicht quollen. Der Schutzmann trat aus der Haustür und lächelte vergnügt, als sei es das heiterste Schauspiel von der Welt, was er da zu sehen bekam. Und die Nachbarn traten hinzu. „Die überflüssige Kreatur!“ sagte einer, und das Wort pflanzte sich fort und schlug an Gottliebs Ohr wie eine zischende, heulende, don¬ ernde Woge. Gleich darauf brachen aus den umliegenden Höfen sieben riesen¬ hafte Doggen hervor, die mit gefletschten Zähnen auf ihn zustürmten. Da wollten ich die umstehenden Leute ausschütten vor Lachen; Gottlieb aber brach wie leblos zusammen. Als Gottlieb am Morgen erwachte, lag er noch wie ein Toter da. Dann drängte sich ihm klar und unerbitterlich die grausige Gewißheit auf: das ist die Entscheidung. Ich bin der Ueberflüssige. Ich muß gehen. Und er ging. Niemand hat gesehen wohin. Auf dem Büro wußten sie es nicht. Im Hause wurde sein Fehlen erst den über¬ nächsten Tag bemerkt. Aber nach wenigen Tagen wußte es die Zeitung, und Herr Rasselbarth, der es dienstlich auf der Wache erfahren hatte, las es mit innerer Genugtuung seiner Familie aus seinem Leibblatte vor, „daß sich ein Schreiber in mittleren Jahren, wohnhaft Schweriner Gasse 17 wahrscheinlich in einem Anfalle von Geistesgestörtheit freiwillig im „Asyl ür moralisch Verkommene“ gemeldet und um Aufnahme gebeten habe. „Man sollte es nicht für möglich halten, sagte der Kriminalschutzmann mit Würde, „was für Leute hier unter uns herumlaufen. Wie leicht hätte der Kerl Bella vergiften können. Aber sie hatte ihn schon gleich auf dem Visier. Sie hat einen verdammt feinen Riecher für alle überflüssigen Kreaturen!“ 6

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