Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1926

70 staltlosen Begriff vollendeter Lieblichkeit,Bildnis eine Weile schweigend. Wange sanft lächelnder Melancholie. An der an Wange. Die strahlenden blauen Augen Tafel des Hotels war mir der Platz ander Verstorbenen, Lidas Augen, senkten ihrer Seite angewiesen worden, auf ihrer sich forschend in die meinen, und die anderen Seite hatte sie den Vater, einen feingeschnittenen Lippen schienen zu einem würdigen Deutsch=Amerikaner mit prü¬zurückhaltenden Gruße, vielleicht schon fender Miene und kühler Verbind¬zum entscheidenden Wort sich zu öffnen. lichkeit. Ein Gefühl überkam mich, daß von Sehr bald war ich mit Lida gut der Meinung dieser jungen Frau viel Freund und mehr als das. Ihr Hände¬ ür mich abhange, daß ich mich mit ihr druck, ihr zärtlicher Augenaufschlag und ins Einvernehmen setzen müsse. Deshalb endlich auch ihr zögerndes Bejahen bat ich Lida, mir das Bild der Mutter dringlicher Herzensfragen gab mir die für eine Nacht zu überlassen. Gewißheit ihres Einverständnisses mit Erst weigerte sie sich, es auch nur meinem Werben. Kein Widerstand vonfür eine Stunde aus der Hand zu geben. ihrer Seite als eine leise, mädchenhafte Noch niemals habe sie sich davon ge¬ Furcht vor der Verantwortung des weit¬ trennt; wie ein Amulett führte sie es ausgreifenden Schrittes. beständig bei sich. Dann aber besann sie Ihrem Zauber war ich ganz ver¬ sich eines Besseren und meinte, es würde fallen und glaubte, daß mein Schicksal mich ihr möglicherweise enger verbinden nur bei ihr in guten Händen sei. und vertrauter machen, wenn das Bild „Wird dein Vater nichts gegen der Mutter eine Nacht in meinem Zimmer einzuwenden haben?“ fragte ich. mich weile. Mit einem Rest kindlicher Be¬ „Das sicher nicht“ antwortete siesorgnis band sie mir auf die Seele, es seltsam zerstreut. „Sprich morgen mitvor Beschädigung zu hüten; ein Stäub¬ ihm! Aber ob wir einander später nicht chen könnte es entstellen, der kleinste enttäuscht werden, darum allein handeltRiß am Rande es ermatten und jeder es sich. Ich warte noch immer auf ein fremde Blick entweihen. So schwor ich Zeichen, daß du wirklich mir bestimmt ihr peinlichste Sorgfalt und Obhut zu. bist. Den Rat meiner Mutter möchte ichGleich morgen beim Frühstück würde ich hören.“ es in ihre Hände zurücklegen. „Deiner Mutter? Du sagtest doch, Sie küßte mich— es war ihr du hättest sie schon als Kind verloren?“ erster Kuß, ein mütterlicher Kuß, ein „Eben deshalb. Ich wünschte, sie Kuß des innigsten Vertrauens. Wir könnte dich sehen. Dich darauf ansehen, trennten uns auf der Schwelle des Lese¬ ob ich es mit dir wagen darf!“ saals; von wo ihr Vater nach ihr rief. Sie hing an ihrer verstorbenen Noch fühle ich den liebevollen Blick, den Mutter wie an einem Genius, der jeden sie mir und dem Kleinod in meiner ihrer Schritte behütet. Ein geheimesHand nachsandte. So umfing ich noch Band schien sie mit der Abgeschiedenen einmal von ferne die geliebte Gestalt, so zu verknüpfen, und es war so, als lebt sie weiter in meiner Erinnerung. müßte ich erst bei der Mutter um die Oben in meinem Zimmer legte ich Hand ihrer Tochter anhalten. das Bild, nachdem ich es immer wieder Im Anschluß an jenes Gespräch betrachtet und versucht hatte, mit den brachte mir Lida ihrer Mutter Bild; ein Zügen des milden Frauen=Angesichtes kleines, in Wasserfarben zierlich undaufklärende Zwiesprache zu halten, auf überaus sorgsam ausgeführtes Porträt,den Tisch zwischen meine Bücher, Reise¬ auf dünnem, seideweichen Papier, ein führer, Klassikerbände, Romane lagen wahres Kunstwerk, sehr sprechend imbunt durcheinander dort herum. Auch Ausdruck und von fast magischer Wirkung. eine alte Lutherische Familienbibel führte Gemeinsam betrachteten wir das ich damals überall mit hin, weil sich mir

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