Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1926

in Stand zu setzen. Aber wenn ich ans Everl, das Mädchen, dachte, nahm ich mich zusammen, und wenn sie kam, und sie kam oft, erklärte ich ihr alles und brachte es zuwege, daß die Uhr nach drei Tagen wieder den ersten reinen Schlag tat. Als ich aber am nächsten Morgen fort wollte, da brachte Eva die Uhr wieder: „Sie geht nicht, da stimml doch irgend etwas nicht!“ Freilich, dachte ich, freilich, das glaube ich ganz gerne und sah in ihre Augen. Und ich war gar nicht böse darüber, ich war jung rei, voll Wanderlust, voll Frühlings¬ rausch. Ich fing noch einmal zu arbeiten an, indessen mir Eva die beste Milch und allerlei gute Sachen brachte, und abends aß ich dann unten in der Stube, oder auf der Bank unter den Linden und mußte dem Mädchen von meinen Er¬ lebnissen erzählen, die ich bisher erfahren hatte. Daß ich unter solchen Umständen mich weniger um mein Ziel kümmerte und lieber bei dem hübschen Mädchen auf der Bank saß, an ihren hellen Augen hing, das war ja begreiflich, aber dann packte mich doch die Lust zu wandern wieder stärker an, der Lenz jubelte in meiner Brust. Die Finken lockten und die Wälder vor meinem Fenster winkten und waren so wunderbar blau und duftig, daß ich es nicht mehr aushielt. „Eva!“ sagte ich, „die Uhr wird wohl nicht mehr gehen, da ist es schade ums Schmalz, aber heb sie auf, vielleicht kommt einmal ein anderer, der es besser versteht als ich. Morgen muß ich fort!“ „Das wird keiner besser verstehen, ich weiß es, und daß du einmal fort mußt, das weiß ich auch ... Sie wandte sich um und ich hörte ganz gut den wehmütigen Klang in ihrer Stimme und wußte ganz gut, daß ihre Augen naß wurden. Und ich wußte auch, wieviel es geschlagen hatte. Aber ich wußte nicht, wieso es geschah, daß ich sie nicht einfach um den Hals ge¬ nommen hatte ... Was sollte ich schließlich in einem Dorfe anfangen, das keine achtzig Seelen Einwohner zählte, und von denen viel¬ 39 leicht gar keine zehn Uhren besaßen, und wieviel von diesen zehn überhaupt ihre Uhren zum Uhrmacher tragen würden, wenn sie sichs nicht anders überlegten, das wäre ein nettes Geschäft geworden. „Aber ... Eva, was wolltest du sagen?“ „Einen Tag wirst du wohl zu¬ egen .. . 2 für mich?“ „Auf einen Tag mehr oder weniger für ein liebes gutes Mädchen kommt es mir wirklich nicht an. Aber sieh, ich muß noch eine große Wanderung machen, bis zur See hinauf, durch das ganze deutsche Reich, und ich muß lernen!“ „Hast du es mit dem lernen soooo 74 ilig So war es, die Arbeit reizte mich mehr, als alles, ich wollte etwas Recht¬ schaffenes, Tüchtiges werden, das war ja zu meiner Zeit noch ein gutbekanntes Wort. „Gewiß, aber so eilig ist es nicht, daß ich nicht noch einen Tag bei dir bleibe, du liebes, gutes Mädchen!“ „Und wirst du mir schreiben? Ueber¬ C4 all, wo du bist? „Natürlich, ich werde mir säuberlich Namen und Adresse in mein kleines grünes Notizheft schreiben und werde dich nicht vergessen!“ „Ist das wahr? „Freilich! „Und wirst du zurückkommen? „Auch das, aber wann, das weiß ich noch nicht.... Und da sah sie mich an, ein holdes Lächeln um ihre Lippen. Dann kam der Abend. Der Frühling war frisch und sein und wir saßen draußen unter den Gebüschen und was wir sprachen, nun ja... also, ich hatte ihr sozusagen mein Wort gegeben, sie nicht zu vergessen... und wiederzukommen* Was war das für ein Wandern! Das Herz voll Liebe, der Mund voll Luft der Frühlingswälder. Wie oft dachte ich an Eva und so manche bunte Karte chickte ich ihr, die letzte aus einer Hafen¬ tadt; das war in Hamburg. Dann nichts mehr. Arbeit kam, viele Arbeit. An

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