Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1925

bist und kannst dir Zeit lassen bis au die Nacht — aber keinen Rausch darfst du dir antrinken und kein G’raff darfst du in Ludwigstal mit den Glasbläsern anfangen, und das Kalb mußt du mir bringen! So mein' ich, und nun mach' daß du fortkommst!“ Der Jogl sah ein, daß hier eine Entgegnung fruchtlos wäre und fügte sich still grollend ins Unvermeidliche. Bald hatte er Zwiesel hinter seinem Rücken und mühsam ging es in dem hohen Schnee waldwärts, bis endlich der Saum des hochstämmigen Forstes er¬ reicht war, der sich zwischen Zwiesel und Ludwigstal ausdehnt. Die Riesenstämme, über und über von schweren Schneelasten die bedeckt, ächzten im Sturme und langen Flechtenbärte, die an ihren weit¬ ausgreifenden Aesten herabhingen, gaben dem wilden Walde ein unheimliches Gepräge. Der Dumpsei war ein Bursche von ungefähr neunzehn Jahren und zeigte, was Mut und Entschlossenheit anbelangt, in keiner Weise den Vollblutbayer. Ja nicht einmal die Gespensterfurcht, die in diesem Landstriche den Kindern förmlich eingeimpft wird, hatte er verwunden, und von der wilden Jagd war er fest über¬ zeugt, ein Umstand, der es ihm ratsam erscheinen ließ, den tiefen Wald und die verschwiegene Nacht zu meiden. Er konnte mit bestem Gewissen beteuern, daß er — dazu noch niemals gefensterlt hatte in ist bekanntlich die Nacht notwendig, Im 5 der er sich allein nicht fortwagte. Wirtshause aber war er doch wieder ein ein echter Bayer. Da war ihm so Dutzend Maßkrüge nur ein Spiel. Wenn es aber zu dunkeln begann, so beglich er rasch seine Zeche und machte sich eiligst aus dem Staube, um sein liebes Zwiesel noch vor Einbruch der unheimlichen Nacht zu erreichen. „'s ist wegen der schlechten Leut“ sagte er, wenn man ihn aufhalten wollte „und ein Fleischhacker wie der Dumpsei (C trägt immer volle Brieftaschen bei sich. Heute war er gerade in der rechten Stimmung und mehr als einmal nahm 31 er sich vor, in Waldhaus gehörig über die Schnur zu hauen. So kam er auch richtig nach äußerst mühsamen Waten im Schnee in Wald¬ haus an, wo die Schenke vor Zechern wimmelte. Der Jogl kümmerte sich blutwenig um das verteufelte Kalb, dessenthalber er heute diesen beschwerlichen Weg machen mußte, setzte sich zu den baum¬ tarken Bayern und ließ sich einen Maßkrug Bier vorsetzen. Von allen Seiten wurden ihm die Krüge und Deckelgläser mit dem wald¬ üblichen: „Zur G'sundheit, Dumsei! entgegengestreckt und dem trank er Be¬ scheid. Dann begann er höllsakrisch auf¬ zubegehren über seinen starrköpfigen Alten daheim und über das elende Wetter und das Malefizvieh von einem Kalb, das der Teufel holen sollte. Wacker zechte er nun fort bis in den halben Nachmittag hinein: er aß saueres Fleisch, Rettig und Schweizerkäse, dann produzierte er sich im Fingerhakeln und einige Vierzeilige ließ er auch steigen, bis er sich endlich erinnerte, daß er eigentlich das Kalb holen sollte. „Das Rabenvieh erschlag' ich auf dem Heimweg“, schrie er in wilder Wut; „an dem will ich heut' meinen Zorn auslassen, „und wild bin ich wie der Leibhaftige selbst!“ Als es gegen drei Uhr ging, war er bereits unterwegs. Der Sturm, der tagsüber etwas flügelmatt geworden begann jetzt neuerdings und der fein¬ körnige Schnee, den er von Grund aus aufpeitschte, schlug dem Dumpsei wie das höllische Feuer ins biergerötete Ge¬ icht. So oft er eine neue Wehe ver¬ pürte, die ihm fast das Atmen unmöglich machte, stieß er einen grimmigen Fluch aus und hieb dabei mit seinem Stock auf das unschuldige Tier ein. So hatte er mit lauter Fluchen und Schlagen endlich die Mitte des Waldes zwischen Waldhaus und Ludwigstal erreicht und tiefe Finsternis brütete bereits über den Wipfeln.

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