Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1924

gut, daß sein Chef ihm mehr als Gerech¬ tigkeit hatte widerfahren lassen. „Nun, das war ein Lebewohl für ewig,“ murmelte er vor sich hin, als er die Treppe zu seiner kleinen Wohnung erstieg. „Ich muß sehen, wie ich mich jetzt allein durchschlage.“ Aber es sollte kein Lebewohl für immer sein. Als Paul die Tür zu ihrem kleinen Wohnzimmer öffnete, trat ihm Millr freudestrahlend entgegen. ür einen Besuch „O Paul, rate, was ie fröhlich. „Ich ich heute hatte!“ rief glaube, ich werde dir etwas helfen müssen, sonst kommst du nie auf die rechte Fährte. Aber Paul wurde nicht angesteckt von ihrer heiteren Laune; tief verstimmt ließ er sich auf einen Sessel niedersinken. „Mein sehnlichster Wunsch ist, dieses schreckliche Land verlassen zu können, Milly,“ seufzte er. „Hat man einmal das Mißgeschick, sich eines Fehltrittes schul¬ dig zu machen, so ist es für immer mit einem vorbei. Milly hatte die Spiritusflamme unter dem Teekessel entzündet und trat nun an des Bruders Seite. „Lieber Paul, wir haben so viel Ur¬ sache zur Dankbarkeit. Woher kommt deine große Niedergeschlagenheit heute abend? „Habe ich vielleicht keinen Grund dazu, Milly? Herr Newton hat mich entlassen, und wo soll ich ohne Zeugnis eine andere Stelle finden? „Darüber mache ich mir keine Sorgen, Paul. Herr Newton war so gütig gegen uns, daß ich immer meine, er würde noch unser Glück begründen. Doch nun rate, wer mich besuchte, Paul „Ich weiß es nicht und es interessiert mich auch heute abends gar nicht. Ist der Tee fertig?“ „Noch nicht; aber es wird dich doch interessieren, wenn ich dir sage, daß mein Besucher kein anderer war als Herr Newton.“ „Herr Newton hier!“ rief Paul in großer überraschung. 23 „Ja, er kam heute mittags und lud uns beide ein, morgen mit ihm zu dinieren. Für dich sagte ich sogleich zu, denn ich dachte mir, daß du doch nichts besseres zu tun hättest, aber Herr Newton bestand darauf, daß auch ich komme. Er sagte, ich brauche mich nicht zu scheuen, seine Junggesellenwohnung zu betreten, da eine ältere, sehr feine Dame seinen Haushalt leite. O Paul, ich bin über¬ zeugt, er hat große Absichten mit dir, ich merke es seinen Reden an. Pauls Antlitz hatte sich während Millys Erzählung zusehends aufgeklärt und auch er blickte jetzt leichteren Her¬ zens der nächsten Zukunft entgegen. Am folgenden Tage fiel der Regen in Strömen vom bleigrauen Himmel her¬ nieder und die Geschwister beratschlagten ernstlich, ob ihre zukünftigen Erwartun¬ gen und ihr gegenwärtiger Kassenbestand ihnen den Luxus eines Fiakers gestatte. Ehe sie jedoch noch zu einem Entschluß gekommen, fuhr Herrn Newtons Wa¬ gen an der Tür vor, um sie an ihren Bestimmungsort zu bringen. Die düsteren Zimmer in dem großen leeren Hause boten heute beim Scheine der lustig flackernden Kaminfeuer einen freundlicheren Anblick dar. Herr Newton empfing seine jungen Gäste mit der größten Höflichkeit und Liebenswürdigkeit; Paul konnte den ge¬ strengen Prinzipal gar nicht in ihm wie¬ dererkennen. Solange Milly und Frau Hayward, die Haushälterin, anwesend waren, wurde kein Wort von Geschäften gesprochen; erst als die Damen sich in den Salon zurückzogen und die Herren allein beim Weine saßen, begann Herr Newton: „Sie haben wohl gestern gedacht, ich entlasse Sie in sehr summarischer Weise, mein junger Freund; aber ich hatte nur die Absicht, Ihre geistige Unabhängigkeit die Festigkeit Ihrer Vorsätze zu prüfen. Ich weiß, daß Sie seit jenem Tage, an dem Ihre Schwester hier in diesem Zim¬ mer für Sie bat und flehte, standhaft allen Versuchungen, Ihr Versprechen zu brechen, widerstanden haben, obschon alle Ihre Neigungen Sie zum Gegenteil

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