Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1924

Gerettet. Erzählung aus der französischen Revolution. Frei übersetzt von Maria Hilden. (Nachdruck verboten. I. an einen Baumstamm gelehnt und sei¬ nen Stock mit der Hand umklammernd An einem kalten, unfreundlichen hielt er erst seine Angreifer in einiger Abend des Jahres 1788 schritt ein jun¬ Entfernung und als er bemerkte, daß sie ger Mann durch ein in der Umgebung dichter heranrückten, da begann er mit von Nancy gelegenes Wäldchen. Das Ge¬ seinem Stocke links und rechts einzu¬ hölz war dicht, und nur hie und da, an hauen. Die Schläge fielen hageldicht, einer lichten Stelle, sah man die mit und des Wanderers Kaltblütigkeit und Zinnen gekrönten Mauern eines alten EV Geschialichkeit bewiesen, daß er in der Schlosses durch die Bäume schimmern. Kunst der Selbstverteidigung Meister Blickte das Auge schärfer, so konnte es war. auch noch die Umrisse von vier Türmen Jedoch hatte er in einem so ungleichen gewahren, die das Schloß befestigten. Kampfe — einer gegen viele — nur Dies war der Ahnensitz der stolzen, alten wenig Aussicht, mit heiler Haut davon¬ Familie de Reynand. zukommen, und seine Gegner hofften Der Wanderer war ein Mann von schon gewonnenes Spiel zu haben, als herkulischer Gestalt. Er war ganz ge¬ plötzlich ein junger Mann, unverkennbar wöhnlich gekleidet und bot in dieser Be¬ ein Aristokrat, von einem Diener be¬ ziehung wenig Bemerkenswertes, aber gleitet, auf dem Schauplatz des Kampfes in seinem Gesichte prägte sich ein erschien. Mit raschem Blick über¬ namenloses Etwas aus, was man nicht schaute er die Szene, zog seinen Degen so leicht wieder vergaß, wenn man es und eilte dem Angegriffenen zu Hilfe. einmal gesehen hatte. Es war zugleich Das Gefecht war hitzig, aber nur von ganz von Blatternnarben bedeckt und von kurzer Dauer, denn wenige Augenblicke truppigem, schwarzem Haar umrahmt. genügten, um die Räuber zu über¬ Die Stirn war breit, aber nieder, das zeugen, daß sie ihre Meister gefunden Auge funkelnd, kühn und rastlos. hatten, und sie eilten in wilder Flucht Obgleich in jener Zeit die Wälder davon. Flanderns durch Räuberbanden un¬ Es entstand eine kurze Pause, wäh¬ sicher gemacht wurden und jeder Tag rend welcher sich die beiden jungen neue Diebstähle und Mordtaten aufzu¬ Männer atemlos gegenseitig betrachteten, weisen hatte, welche die Einwohner von wie um sich zu überzeugen, ob keiner Nancy und Valencienne in Schrecken aus dem harten Strauße etwas davon¬ versetzten, trug unser Reisender außer getragen hatte. Plötzlich unterbrach der einem sehr großen Stock keine Waffe. zuletzt Angekommene das Schweigen. Mit sorgloser Miene und unerschrockenem „Sie sind verwundet,“ sagte er zu dem Blick ging er rüstig seines Weges, als Reisenden, dem er so tapfer beigestanden plötzlich einige Männer, die hinter den hatte. „Sie sind ernstlich verwundet. Bäumen gelauert haben, sich vor ihm Sie müssen mir und meinem Diener aufpflanzten und riefen: „Die Börse erlauben, Sie zu meiner Wohnung, die oder das Leben! hier ganz nahe ist, zu geleiten; dort Der junge Mann schien jedoch durch¬ ollen Sie bestens verpflegt werden. aus nicht geneigt, 3ihrem Wunsche zu „Tausend Dank,“ erwiderte der Rei¬ willfahren, dennohne ein Zeichen von ende. „Aber ich habe keinen Augenblick Furcht bereitete er sich zu einem entschie¬ zu verlieren. Meine Wunde,“ fügte er denen Widerstand. Mit dem Rücken fest 1

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