Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1923

hier. Bei diesen Worten zeigte sie dem gen einen langen zartgrünen Handschuh Jun Bubis Gesicht wurde ernst. „Mußt 77 Du ihn unbedingt wieder haben: fragte er. Else mußte über den drolligen Jungen laut lachen „Sicher, sagte sie, „denn Du kannst Dir wohl denken, daß ein Handschuh allein für eine Person mit zwei Händen nicht viel wert ist. Also, wenn Du ihn auf Deinen 7 Streifzügen finden solltest, dann „Hör' mal,“ unterbrach Bubi eifrig die junge Dame, „ich glaube, er hat ihn egessen. aufg „Aufgegessen?“ wiederholte sie entsetzt Gottes willen, Bubi, was meinst Du? „um Wie kann jemand einen Handschuh auf¬ essen.“ Bubi erzählte: „Er zog ihn aus der Tasche und nahm ihn in den Mund und machte ein Gesicht, als hätte er etwas ganz Leckereszu essen.„Wer?“ fragte Else. „Herr Berger, er saß auf der Bank am Springbrunnen. Er sah mich nicht, ich lag in den Büschen. Ich spielte Indianer weißt Du. Ich hatte aber nicht gesehen, daß er ihn ganz aufaß,“ fügte er hinzu, „weil ich nicht wartete. Ich will ihm Kuchen holen der wird ihm sicher besser schmecken, als der alte Handschuh. „Ich glaube, er hat noch nichts ge¬ gessen, heute morgen, Bubi.“ Else beugte sich schnell zu dem Jungen herab und drückte ihr glühendes Gesicht an seine braune Backe. „Versprich mir, zu niemandem sonst von dem Handschuh zu sprechen, zu keinem. Du — „sie suchte nach Worten, umdem weißt 32 kleinen Kerl eine genügende Erklarung für ihren Wunsch zu geben, „Du weißt, es ist Handschuh, er darf ihn natürlich be¬ mein und was tat er sonst, abgesehen halten dem Handschuh? von „Er machte so“ und Bubi stieß einen schrecklichen Seufzer aus, der das Stöhnen des armen jungen Herrn nachahmen sollte. „Viellsicht,“ sagte Else, um dem Jun¬ gen eine Erklärung hiefür zu suggerieren „hatte er Zahnschmerzen. Bubi schien diese Erklärung für das rätselhafte Benehmen seines großen Freun¬ 103 des einzuleuchten. Sein Mitgefühl war er¬ weckt. „Zahnschmerzen ist eine schrecklich böse Geschichte,“ sagte er wichtig, „wenn Fräu¬ lein sie hat, bindet sie sich das rote Tuch um ihr Gesicht. Ist das Beißen auf seidene Handschuhe gut dafür, Tante Else? — ich weiß nicht,“ antwortete „Ich sie schuldbewußt. „Ich glaube, es ist am besten, ich gehe zu ihm und sehe nach, wie es ihm geht. Und — und Du denkst ja an Dein Versprechen und sagst keinem Menschen etwas. Ich schenke Dir auch eine große Tafel Schokolade. Bubi schloß den Mund so fest, als wollte er auf alle Fälle verhindern, daß schüt¬ ihm ein Wort hierüber entschlüpfe. Er telte den Kopf heftig und rannte dann schnell fort, um den Kuchen zu holen. Viel¬ leicht hatte Onkel Berger doch Hunger und schließlich konnte er das Stück ja auch selbst essen. „Der süße Kerl“, sagte Else, als sie in gutgespielter Absichtslosigkeit in der Richtung, die Bubi ihr angedeutet hatte, weiterschritt. „Ich ahnte es ja schon lange, wäre Bubi jedoch nicht gewesen, würde ich es nie sicher gewußt haben“ „Oh, Herr Berger, wo kommen Sie her? denn Der so angeredete junge Herr fuhr er¬ schrocken von seinem Sitze in die Höhe und verbarg hastig etwas in seiner Tasche „Ich hoffe, daß ich Sie nicht gestört fuhr sie fort und setzte sich grazibs habe auf die Bank. „Oh, durchaus nicht. Schöner Morgen, wahr?“ stotterte er. 77 nicht „Herrlich,“ antwortete sie Es folgte ein beklemmendes Schweigen „Warum kann ich Schaf ihr nicht ein paar höfliche Glückwünsche zu dieser plötz¬ lichen, verrückten Erbschaft sagen?“ fragte er sich ärgerlich „Wie kann ich ihn dazu bringen, sich auszusprechen“ überlegte sie Dann seufzte sie möglichst schwer Dieser Ton brach das Eis „Sie haben doch wirklich keine Ursache zu diesem Seufzer,“ sagte er, ihr sein männ¬ lich hübsches Gesicht zuwendend. „Sie haben alles, was das Herz einer Dame sich wün¬

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