Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1923

— SS — KE Oeoda Ein gefährlicher Mensch. Novelle von Hedwig Nicolay. (Nachdruck verboten.) Ein großstädtischer Millionär hatte sich weltschmerzliche, dunkle Augen, blendende in einem bekannten Badeorte eine schöne Zähne und schweres, schwarzes Haar, das Villa gekauft. sich wellig und glänzend um die schmale, Das weiße Haus lag zwischen saftigemhohe Stirn legte. Seine Kleidung war Grün am Fuße eines mit hohen altenmodern bis ins Aeußerste. Bäumen bestandenen Berges. Er war ein gefährlicher Gesellschafter Der Hausherr, abgespannt und nervös für eine Frau, die in vollster Blüte stand von dem geschäftigen Treiben der Haupt¬und deren abgehetzter Gatte sich nur zwei stadt, suchte hier allwöchentlich auf zweiTage in der Woche seiner Familie widmen Tage Ruhe und Erholung. Die Hausfrau, konnte. ermüdet von der Repräsentation ihres Ulrich Burkhard fühlte auch sehr wohl, Hauses, atmete hier in der würzigen Wald¬wie gefährlich das Experiment war und luft auf und war zur Abwechslung ganz sann auf Abhilfe. zärtliche Gattin und Mutter. Er dachte daran, irgend eine junge In den weißen, eleganten Kleidern, dieDame als Blitzableiter ins Haus zu laden; sie trug, sah sie mädchenhaft jugendlich ausaberThekla wollte davon absolut nichts und man konnte sie leicht für die älterewissen. Schwester ihrer beiden Kinder halten. „Nein, keinen Logierbesuch auf keinen Ein Dritter wurde noch zur Familie Fall, erklärte sie kategorisch. „Ich habe gezählt. Ein bekannter Maler, der denkeine Lust, irgendwelche Rücksichten zu ehrenvollen Auftrag erhalten hatte, dennehmen. Gartensalon mit einem Cyklus mythologi¬ Als wohlerzogener Ehemann gehorchte scher Gemälde zu schmücken. er natürlich und unterließ die Einladung. Man lebte angenehm und frohgemut Da führte ganz unverhofft eine neue in dem neuen, modernen Nest, in dem es Bekanntschaft eine willkommene Ableitung selbstverständlich an keinem Komfort fehlte. herbei. Frau Thekla Burkhard hatte sich von Edith und Rolf kamen eines Tages den Winterstrapazen so rasch erholt, daß ubelnd mit einem entzückenden, fünfjährigen ihr bereits Gesellschaft fehlte. Die KinderKnaben aus dem Walde gelaufen. Sie Edith und Rolf überließ sie wie früher, hatten dort mit ihm gespielt und ihn seiner wieder der Erzieherin und suchte nun Mutter einfach entführt. so viel wie möglich den Gartensalon auf, in „Mama,“ rief Edith ganz aufgeregt, welchem der Künstler sein Wesen trieb. „sieh doch nur, wie süß er ist! Wie eine Lorenz Kahlenberg war ein Lieblinglebendige Puppe!“ der Frauen. Nicht mehr jung, hatte er So sah der Kleine mit den langen, einen interessanten Zug müder Blasiertheit blonden Locken, dem runden rosigen Antlitz in dem vornehmen, bleichen Gesicht. Erund den merkwürdig großen dunklen Augen hatte einen frauenhaft feinen Mund, große,auch wirklich aus. 69

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