Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1921

65 SA8 2. 72 K SSS Das Erbteil der Tochter. Zeitbild aus Stadt Steyrs Vorzeit von Heinrich Kematmüller. I. nur das Geld, hier wäre Gelegenheit, denn alles Handwerk ist hier reichlich ver¬ Im Jahre 1347 war seit langer Zeit treten.“ wieder ein Jahrmarkt') in Stadt Steyr. Die junge Frau, die lässig mit unter Diesmal wurde am 1. Mai am Stadiplatz der Brust gekreuzten Armen dastand, die Marktfahne ausgesteckt?); Gruppen von spielte mit den Füßchen im Sande vor Stadtsöldner streiften schon einige Tageder Türe, zuckte die runden Schultern vorher auf eine Meile die Gegend um die und zog trotzig die schön geschwungene Stadt ab, um die heranziehenden Kauf¬ Unterlippe auf. leute und deren Waren vor allzuneugierigen „Wenns der Frau Mutter aber nicht Strauchrittern zu schützen und der Stadt¬ beliebt mich auszuzahlen“ meinte sie, schreiber verkündigte unter vorhergehenden „hörtest doch soeben, daß in der Marktzeit Trommelschlag den darob freudig aufhorchen¬ niemand wegen Schulden geklagt oder den Bürgern und sonstigen Marktleuten und gepfändet werden darf.“ Marktbesuchern, „daß jedermann in diesen „Wegen Schulden“, sagte der junge 14 Tagen von der löblichen Stadt Steyr Mann mit leichtem Spott, „aber da fällt sicheres Geleite und sonstigen Schutz ge¬ mir bei, ein Erbteil ist keine Schuld, nieße und, daß wegen früher gemachten da wird wohl das Geld zu holen sein, und bisher nicht bezahlten Schulden während das wir so notwendig brauchten, den des Marktes niemand belanget oder ge¬ Marktzins haben wir auch noch nicht be¬ pfändet werden dürfe, wohl aber nach zahlt, unser Zieler verlangt seinen rück¬ dem Ausläuten desselben“.s) ständigen Lohn, da er hier seine Ge¬ wandung am besten ergänzen kann und „Also hat deine Frau Mutter noch dein Hauskreuz, die kecke Eusebia macht „vierzehn Tage Zeit, dir das Erbteil nach auch so Nasenlöcher, als ob sie endlich zu deinem Vater selig auszufolgen“, sagte Geld kommen wolle, von uns natürlich“. ein junger Mann, der unter der Tür, zu „Will ja heiraten, hat hier ihren einem Bogenschießstand, der sich oben am Herzallerliebsten, einen Messerergesellen Pfarrberge als etwas merkwürdig gebaute vom Aichet draußen“, erklärte die junge Bretterbude erhob, zu einer neben ihm an Frau, „war sogar schon am Magistrat, dem Türpfosten lehnenden, jungen, hübschen, haben nichts dagegen, sie ist zwar keine ihm wohl gleichalierigen Frau, „schad' wir hiesige, aber die Gebühren kann ihr Liebster brauchten das Geld sehr, Bogen und leicht erlegen, übrigens sie bekommt von Pfeile wären viele neu anzuschaffen, die uns Lohn von drei Jahren her, haben Köcher*) alle neu zu bemalen und der ihr noch nichts ausgezahlt seit wir hei¬ Zieler nicht zu gedenken. Hätten wir rateten und das Geschäft aufmachten, 1) Derselbe bestand bereits im Jahre 1500, kam erinnere dich nur, Emmerich“ aber gegen 1320 außer Gebrauch und wurde 1347 wieder eingeführt. Der Jahrmarkt dauerte 14 Tage. „Ja, ja, ich erinnere mich schon 2) Manchmal auch ein Kreuz. liebe Agathe, hätten so schön werken, 3) Der Markt wurde durch das Geläute der Rat¬ hausglocke und herumgehender städtischer Diener die größere wenn deine Frau Mutter mit dem Erbteil Glocken handhabten, geschlossen. herausrückte, aber so, nichts als Schulden *) Pfeilbehälter. 5

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