Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1920

„Klaas, ich schwöre es dir, ich werde dich wiederlieben, aber erst an dem Tage, an dem das Meer die Farbe deines Halstuches hat. An diesem Tage trug Klaas ein hell¬ rotes Tuch um den Hals. Dann verschwand Nantje in der Abenddämmerung. Von fern warf sie ihm noch neckisch eine Kußhand zu. Sinnend sah ihr der junge Fischer nach. Darau trennte er sich von der kleinen Gesellschaft und streifte noch eine lange Weile längs des Strandes hin. Er wollte allein sein, allein mit seinem geliebten Meer, das ihm heute eine seltsame Melodie zuraunte. Während noch vor einigen Stunden sein Herz voll heißer Liebe erfüllt gewesen war, war es ihm jetzt, als ob ihm das Meer in seiner Verzweiflung sein Leid zu klagen schien und sein Ohr vernahm nur immer in gleichmäßigen Tönen die eine Melodie: „Wenn die Liebe stirbt... wenn die Liebe stirbt ... Das Leben ging seinen gewohnten Gang weiter. Klaas fischte tägsüber und abends träumte er auf das Meer hinaus. Er liebte Nantje, liebte sie noch immer mit der ganzen Glut seines einsamen Herzens und sie hatte für ihn nur die Worte übrig gehabt: „Wenn das Meer die Farbe deines 77 Tuches hat, dann will ich dir gut sein! Immer wieder mußte Klaas über des Mädchens Worte nachsinnen. Sie hatte sich über ihn lustig gemacht, das war nicht gut von ihn gewesen... Doch konnten nicht Wunder geschehen? Wer weiß, ob nicht eines Tages doch das Meer die rote Farbe seines Halstuchs haben würde? Er begann zu hoffen und hoffte weiter. Wieder saß er oft abends auf der Düne und starrte in das Meer hinaus. Es kam die Zeit des Vollmonds, in der sein Meer unruhig wurde und die Wogen wie vom Zorn gebläht gegen den Strand heranrollten. In solchen Tagen wechselt das Meer die Farbe. Erst sieht es gelb und grau aus, dann beginnen Lichter über den Rücken der Wellen auf¬ zuzucken und bekränzen sie mit einem sil¬ bernen Schaumring. Aus der auf= und niederwogenden Wasserfläche tauchen kleine, 79 farbige Inseln empor, die aussehen wie Smaragde und Rubine. Sie drehen sich um sich selbst, sie rollen sich bald auf wie ein großes Tuch, bald werden sie schmal wie im Winde flatternde Bänder. Immer wieder tauchen dann die weiß leuchtenden Gischtkämme dazwischen auf, deren silberner Schein über die Wasserfläche leuchtet. Klaas starrte und starrte und konnte sich nicht satt sehen. Mit einemmale ging der Saphirschein in eine hellblaue Farbe über und diese wechselte nach kurzer Zeit mit einer rubinroten. Jetzt fielen die Sonnenstrahlen senkrecht auf das Wasser und das Meer flammte auf. Die Nordsee sah aus wie ein einzig großer Opal, dann wieder wie der matte Glanz einer grauen Perle. Dann kam ein Windstoß, die früheren Farben schienen wie weggewischt und jetzt leuchtete es wieder gelb, dann blau und lila auf und nun mit einemmale fing gegen Abend der Widerschein der unter¬ gehenden Sonne die unendliche Wasser¬ fläche rot zu färben an. Wie die Farbe von Granatäpfeln leuchtete es in weiter Ferne auf und ganz hinten, wo die unter¬ gehende Sonne im Meer zu versinken chien, da begann die Flut sich rot zu färben, tiefer und immer tiefer wurde das Rot ** * Hoffnungsfreudig klopfte das Herz des Fischers. Mit weit geöffneten Augen starrte er hinaus auf das Meer. Dann wandte er sich hastig ab, denn er hatte keine Zeit zu verlieren. Rasch eilte er nach dem Dorfe und klopfte an die Tür von Nantjes Hütte. Doch diese war verschlossen. Immer wieder rief er fast flehend ihren Namen. Endlich vernahm sein Ohr das Klappern von Holzschuhen. Das Mädchen bog um die Ecke. ... sieh, „Nantje ... schnell, komm da draußen — das Meer ist rot. .. so rot ... weißt doch, was du mir damals ver¬ sprochen hast. Nur komm, komm schnell mit mir!“ Er stotterte, er flehte sie an, dann hatte seine Stimme einen harten und befehlenden Ton. Das Mädchen lachte, die Aufregung ihres Verehrers machte ihm Spaß. Doch dieser lachte nicht. Mit einemmale packte

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