Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1920

70 recht wohl gelitten war. Sie war ein echtes deutsches Mädchen, groß, stämmig, dabei in vollstem Ebenmaß gebaut, blond, blauäugig und stets guter Laune und ihr Zünglein war nicht minder flink als ihre Hände flleißig und hurtig. Sie glich da vollständig ihrer deutschen Mutter, ihr etwas robustes, resches Wesen aber hatte sie entschieden von ihrem Vater, der sie auch, wahrscheinlich eingedenk seiner wen¬ dischen Heimat, Ludmilla hatte taufen lassen und so bot sie im besten Sinne das Bild einer glücklichen Mischung zwischen deutschem und slawischem Blute und sonstiger guten Eigenschaften beider damals friedlich unter= und miteinander lebenden Völker. Daß es ihr an Verehrern nicht fehlte, ist bei solchen schönen Eigenschaften eines Mädchens nur natürlich und Ludmilla hatte auch schon gewählt. Ihr Auserkorener war Chilperich, der Sohn des Leibknappen des Markgrafen Ottokar, der ein einge¬ wanderter Westfranke, namens Chlothar, war und hier seßhaft wurde, wie sich denn damals das heutige oberösterreichische Volk aus zugewanderten aller deutschen und vielen slavischen Stämme eben sich zu verschmelzen und zu bilden begann. Dieser Chilperich, ein sehr hübscher großer Junge, als echter Westfranke mit dunkler Haarmähne geziert, geschickt im Bogenschießen, Lanzenwerfen, im Reiten und sehr verwendbar auf der Jagd, welch letztere ja damals einen Hauptnahrungs¬ zweig der Leute ausmachte. Dabei war er die Sanftmut selbst und Frau Ulrike meinte, ein sanfter Mann passe ganz gut zu einer etwas „reschen“ Frau, weil die Ehefrau doch auch dabei ihr Recht im Hause finden könne, allein Zwentibold, der lieber einen Koch als Schwiegersohn gesehen hätte, war der Ansicht, die Sanft¬ mütigkeit tauge für einen Mann in die Küche besser, als für einen Kriegsknecht und wollte von einer Ehe zwischen den jungen Leutchen nichts wissen, die sich übrigens aus den Ansichten ihrer Eltern nicht viel daraus machten und ruhig in den Tag hineinschaften und wie es echten Liebesleuten ziemt, ihre Hoffnung für ihre Verbindung auf den „Zufall“ setzten, der ich ja den jungen heiratslustigen Menschen auch fast immer günstig erweist, so sich die Jugend mit bescheidenen Anfängen im Hausstand, Fleiß und gegenseitiger Ver¬ träglichkeit zu behelfen weiß. Die „Liebelei“, wie der Leibknappe Chlothar seines Sohnes Herzensneigung benannte, blieb in der Burg natürlich niemand verborgen, dazu war der Raum zu eng auf dem sich soviele Menschen be¬ wegen mußten und die Tratschsucht der Leute bewegte sich auf so breiten Grund¬ lagen wie immer und überall und so erfuhr auch der Markgraf von der Sache und das war auch notwendig, denn es war ja zu einer Ehestiftung zwischen Ludmilla und Chilperich so nötig, wie die Verliebten selber, denn er hatte als der Herr zu einer Ehe seiner Dienstleute seine Be¬ willigung zu geben oder zu verweigern. Der Leibknappe Chlothar hatte auch schon einigemale seinen gestrengen Herrn so ein wenig „ausgeholt“ wie man zu sagen pflegt, wie er über die Verbindung zwischen Ludmilla und Chilperich denke, allein der Markgraf hatte wichtigeres zu tun, als sich mit Ehestiftungen zu befassen, hörte den vorsichtig Redenden kaum an und sagte endlich einmal, als der wackere Westfranke wieder von seinem Sohne und der Lud¬ milla sprach, in ziemlich unwirscher Art: „Laßt mich in Ruh mit den Leuteln ihrer Liebesnot! Sind jung und können noch eine Weil warten und sich selbst er¬ proben. Wo soll ich auch den Chilperich hingeben, auf was für einen Posten, damit er als Ehemann seinen Hausstand kann ernähren? Ist derzeit keine Stelle frei und ihr werdet ihm euren Platz wohl auch nicht räumen wollen. Und die Ludmilla? Mein Himmel, die ist jetzt in der bewegten Zeit in meiner Küche notwendiger, als in einem ihr eigentümlich zugehörigen Heim. Sind sich auch wenig gleich in ihren Eigenschaften die zwei — wenn die Lud¬ milla wird beweisen, daß sie Verstand hat und Schneid für alle zwei, dann mags genügen und auch der sanfte Chilperich, in der Beziehung ergänzt, zu ihr passen dann kanns gut werden und ich sag Ja

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