Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1918

176 Ich fragte die Bekannten, stellte Aber da trat die Mutter dazwischen, Nachforschungen an, aber ich wußte zu die alte halbblinde Mutter, sie sah die wenig von den näheren Verhältnissen der Bilder ihres Sohnes nicht, aber sie beiden, um mit Erfolg Erkundigungen glaubte an seine Kunst und ein echter einziehen zu können. und rechter Künstler sollte er bleiben. Da traf ich unerwartet auf den Sie litt es nicht, daß er der Muse ab¬ Mann, aber ich fand ihn allein — ohne trünnig würde, sie hungerte mit ihm und die Mutter! fror mit ihm, aber alle Tage ging sie Was war mit ihr geschehen? mit dem Sohne in die Sammlungen, Der Vater des jungen Manneswar wo der Künstler seine Studien machte, einst ein bekannter Stabsoffizier die sich erhob und seinen Geist läuterte an Mutter eine gefeierte Schönheit. den Kunstwerken der alten und neueren In dem einzigen Sohne entbrannte großen Meister. schon früh die heilige Flamme der Kunst; Auf dem Wege dorthin begegnete er wollte ein Maler werden und er wurde mir das Paar — täglich — seit Jahren. es auch. Aber der Vater starb früh und Eines Tages aber legte die alte Frau hinterließ den Seinen nur Schulden. das müde Haupt hin — und erhob es Mutter und Sohn kamen bald in die nicht mehr — die Augen blieben für dürftigsten Verhältnisse, aber je mehr immer geschlossen. Man trug sie hinaus die Welt gegen sie einstürmte, desto auf den Friedhof — und nur ein Mensch treuer hielten sie zusammen. Die Mut¬ folgte dem Sarge — der Sohn, der ter begleitete ihren Sohn in die Akade¬ brave, treue Sohn — noch bleicher das mie, holte ihn ab und die übrige Zeit Antlitz wie sonst. verlebten sie stets miteinander. Auf dem Grabe kniete er und betete So wurde er ein Maler und seine und wenn der Morgen kam — kam auch Bilder erfreuten sich des Beifalls der er, und wenn der Tag schied — schied Kunstkenner. Des Beifalls wohl, aber auch er. nicht des materiellen Erfolges. Auf einer der letzten Ausstellungen Er malte zu wenig auf den Effekt, machte ein kleines Bildchen viel von sich zu wenig passend für den modernen Ge¬ reden. chmack; aber er malte mit seiner Seele. Ein frisches Grab, an demselben Möglich, daß seine Schöpfungen kein so¬ knieend ein junger Mann, im Hinter¬ genanntes „schönes Bild“ für den Salon grunde die Szenerie des Gottesackers. irgend eines reichen Bankiers abgaben, Das Bild war einfach, aber unend¬ aber seine Bilder wiesen sämtlich große lich rührend, von Meisterhand entworfen. geniale Züge auf. Ein Mäcen bezahlte es mit 1000 Kronen. So blieb er arm — mehr als dies, Der junge Mann lebt jetzt in guten er wurde immer ärmer, die Not pochte Verhältnissen, er ist der Maler jenes an die Türe, der Hunger meldete sich Bildes — es hieß: „Das Grab der zu Gast, der Mann konnte nicht mehr Mutter“ — und vielfache Aufträge folg¬ o viel erschwingen, um die Materialien ten dem ersten Erfolge. zu einem neuen Bilde zu kaufen. Da bot man ihm die Stelle eines Die arme Mutter ist tot — aber im Dekorationsmalers an. Er kämpfte einen Grabe hatte sie dem Sohne das Glück schweren Kampf, ein Blick auf seine durch gebracht, das ihr im Leben verwehrt das Elend früh gealterte Mutter ent¬ geblieben. Er ist ein gesuchter Maler schied — er wollte Theatermaler werden. geworden. ∆

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