Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1918

„O. Exzellenz können schon eine Me¬ lange bekommen.“ Erstaunt fragte Adolf Weinbrenner: „Melange, ja, ist das möglich?“ Der Ober lächelte so geheimnisvoll, als ob er sagen wollte, für solche Gäste ist noch viel mehr möglich. Er gab einen Befehl, die Kellnerschar enteilte, er aber schleppte einen Pack Zeitungen herbei. Adolf Weinbrenner dachte inzwischen tiefsinnig darüber nach, für wen ihn diese Leute wohl halten mochten. Graf, Baron, Doktor sagte nichts, aber diese nannten ihn Exzellenz, das war schon etwas Bestimmtes. Indessen, er hütete sich, den Irrtum aufzuklären. Da nahte die Kellnerschar wieder und, Adolf Weinbrenners Ueberraschung und Staunen kannten keine Grenzen, brachte eine Melange, sogar mit einer Haube Obers darauf, und der Pikkolo schleppte einen Teller, auf dem sich fünf knusperige Semmeln befanden. Adolf Weinbrenner hätte sich am liebsten an den Kopf gegriffen, das Ganze schien ihm nicht recht wahrscheinlih. Jedoch die guten Sachen, die er seit ewig langer Zeit nur aus einem Stilleben, das er sich einmal aus einer Zeitschrift ausgeschnitten und in seinem Zimmer aufgehängt hatte, kannte, standen wirklich vor ihm. Mit wohligem Behagen genoß er sie, und als er die Tasse geleert hatte, da fragte der Ober, ob Exzellenz nochmals wünsche. „Bitte!“ Drei Tassen trank er und aß alle fünf Semmeln. Dann fragte er kühn: „Zigaretten haben Sie wohl nicht?“ „Bitte sehr, bitte gleich!“ Wenig später stand eine Schachtel Aegyptische vor ihm. Adolf Weinbrenner war sprachlos. Voll Andacht entzündete er eine der Langentbehrten. O, Göttergenuß! Da fragte der Ober: „Wenn Ex¬ zellenz vielleicht die ganze Schachtel wünschen?“ 169 „Aber gewiß, danke, sehr gerne.“ Die ganze Schachtel. Früher hatte er sie zwar in einem halben Tage ge¬ raucht, aber jetzt würde er schon sparen. Für was ihn die Leute nur halten mochten? Unglaublich! Was so eine Exzellenz selbst in diesen Tagen hervorzaubern kann. Adolf Weinbrenner zahlte. An den Verbeugungen des Ober und seiner Untergebenen war zu erkennen, daß sich die Exzellenz nicht lumpen ließ und für die dargebotenen Genüsse, die sonst nur mehr in der Erinnerung lebten, sich er¬ kenntlich erwies. Die ganze Schar be¬ gleitete den hohen Gast unter Ver¬ beugungen zur Türe. Bevor er ging, sprach Adolf Wein¬ brenner gutgelaunt: „Sagen Sie Ihrem Chef, er möge sein Café umtaufen.“ „Exzellenz meinen, bitte?“ „Er soll es Café Schlaraffenland nennen.“ Lächelnd grüßte die Exzellenz und entschwand. Einen glücklicheren Menschen wie Adolf Weinbrenner gab es im Augenblicke auf der ganzen Welt nicht. „O Wonne, o Wonne, eine Exzel¬ lenz zu sein!“ hätte er am liebsten gerufen. Nun hätte er aber wissen mögen, was für eine Exzellenz er ge¬ wesen war. Am nächsten Morgen löste sich das Rätsel, als er in seiner Zeitung las, daß gestern nachmittag im Café X. im 2. Bezirke Se. Exzellenz der Herr bul¬ garische Ministerpräsident ohne jede Be¬ gleitung die Jause nahm. Adolf Weinbrenner verschaffte sich ein Bild von seinem Doppelgänger und betrachtete sich im Spiegel. Unzweifel¬ haft eine frappante Aehnlichkeit war vorhanden. Da schickte er ein inbrünstiges Dankgebet zum Himmel. „Schade, sehr schade,“ seufzte er dann, „daß die bulgarische Exzellenz heute schon unsere Stadt verläßt.“ S

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