Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1918

167 2 O. N 2 8 Se4 4 „Exzellenz Wiener Humoreske von Wolfgang Kempter. Nachdruck verboten. früher sterben ließ. Er freute sich noch Henn man in den drückenden Ver¬ beneidenswerter Gesundheit und fühlte ## hältnissen einer mehr als beschei¬ sich in der Lage, das Leben noch genießen denen Lebensstellung zweiundsechzig Jahre zu können. Seine Stelle gab er natürlich alt geworden ist und dann plötzlich und auf, sie mochte einen andern, wenn auch unerwartet einen viel jüngeren Vetter karg, so doch nähren, dann mietete er von dem man kaum etwas wußte, sich in eine bessere Pension ein, weitab beerbte, dann währe wohl mancher im von der Stätte seiner früheren Tätig¬ Zweifel, ob er das für ein Glück oder keit, aß und trank, was ihn freute, stand nicht vielmehr für eine Frotzelei dee spät auf, ging zum Frühschoppen, nach¬ Schicksals halten sollte. mittags ins Café, später zum Pils, Nicht so Herr Adolf Weinbrenner. nach dem Nachtmahl ins Theater oder Er faßte dieses Ereignis, das ihn betraf, ins Kino, frönte seiner großen Leiden¬ nur als Glücksfall auf. Als Buchhalter schaft, dem Zigarettenrauchen, bis zum eines kleinen Vorstadtgeschäftes hatte er Uebermaße, als ob er in einem Jahre ein überaus dürftiges Leben geführt das Versäumte von fünfzig einholen so bescheiden, daß es nicht einmal zur müßte, und lebte wie der Herrgott in Gründung eines eigenen Haushaltes Frankreich — vor dem Kriege natürlich. langte. Dabei immer die brennende Sehnsucht nach einer Ehegesponsin Sehnsucht im Herzen, es auch einmal hatte er nicht, diese Wünsche waren mit besser zu haben und nicht immer zu¬ den Jahren verflattert; er wollte den schauen zu müssen, wie andere schwelgen; Rest seiner Tage in behaglicher, heiterer das hätte viele verbittert und vor der Ruhe genießen. Zeit müde und alt gemacht. Adolf Wein¬ Zu der gewaltigen Aenderung der brenner hoffte unentwegt, suchte auch, ganzen Lebensweise Adolf Weinbrenners dem Glücke ein wenig entgegenzukommen, gesellte sich folgerichtig auch eine gewal¬ indem er fleißig ins Lotto setzte, jedoch tige Wandlung des Aeußeren seiner diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. Person. Seine Garderobe, die nie sehr Immerhin konnte er sich von einer Zie¬ umfangreich, immer aber sehr ärmlich hung auf die andere vertrösten und war, verschenkte er, und als er bald wurde dabei, ohne daß er es merkte, zwei¬ darauf in neuen Kleidern, die eines der undsechzig Jahre alt. Da kam der große ersten Herrenmodeateliers gebaut hatte, Treffer. Er gewann ihn nicht in der auf dem Ring spazieren ging, da hätte Lotterie, aber eine Erbschaft machte ihn keiner seiner ehemaligen Bekannten in zum unabhängigen Manne. Dankbar dem vornehmen, alten Herrn mit der nahm er die Gabe des Schicksals an und aufrechten, etwas steifen Haltung und war ihm nicht einen Augenblick darüber den gemessenen Bewegungen, mit dem gram, daß es den unbekannten Vetter wallenden, weißen, gescheitelten Voll¬ der irgendwo in der Provinz gelebt barte, der in zwei Spitzen verlief, den hatte, nicht zwanzig oder dreißig Jahre

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