Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1916

54 Der Krämer kämpfte augenscheinlich den schwersten Kampf — Vaterliebe und Vernunft stritten sich um den Sieg. End¬ lich sagte Herr Kurt mit fast gebrochener Stimme: „Beenden wir die Sache, meine Lie¬ ben, ich habe gegen eine Heirat zwi¬ schen Oswald und Katharina nichts mehr einzuwenden.“ — Vater!“ riefen Mut¬ „Mann ter und Sohn freudig aus. „Unterbrecht mich nicht,“ sagte Herr Kurt fast rauh. „Was nicht zu än¬ dern ist, muß man ertragen. Oswald hat die Starrköpfigkeit seines Vaters, er ist eben mein Sohn. Wenn ich aber jetzt meine Zustimmung gegeben habe. o heißt das noch nicht, daß auch schon Hochzeit gemacht wird, das überlaßt mir! Ich will mir die Sache noch reif¬ lich überlegen, wie man sie anpackt, ohne selbst in Gefahr zu kommen, auch habe ich noch mancherlei Erkundigungen einzu¬ ziehen und mancherlei hohe Gönner um ihren Beistand zu bitten. Gebe Gott, daß mir mein Plan gelingt, wo nicht, dann“ Er brach kurz ab und verließ das Zimmer, in welchem Mutter und Sohn zurückblieben und unter Tränen in Angst und Kummer besprachen, was wohl zu tun sei. „Erzähle doch dem Vater, was du mir jetzt alles gesagt hast,“ meinte end¬ lich die Mutter, der Oswald sein Gespräch mit Katharina mitgeteilt, kummervoll. „Wenn du nun doch einmal von dem Mädchen nicht lassen willst, so ist es chon besser, er weiß, daß Katharina dich über die Zustände bei ihr zuhause ganz aufgeklärt hat und daß sie nicht daran denkt, deine Liebe zu ihrem Vor¬ teil auszunützen und sich durch eine Hei¬ rat selbst zu retten. Auch magst du immerhin zu ihren Eltern gehen und die Sache mit ihnen besprechen, nur halte alles geheim, bis der Vater selbst es an der Zeit findet, den Leuten reinen Wein einzuschenken.“ Oswald versprach so zu handeln und entfernte sich sichtlich erleichtert, wenn auch noch von schweren Sorgen erfüllt über das Glück seiner Zukünft, das nur davon abhing, noch vor Ausbruch des Unglückes ein Mädchen heiraten zu kön¬ nen, dessen ganzes Verbrechen es war — die Tochter eines Ketzers zu sein. VII. „Du Mann,“ sagte einige Tage darauf Frau Elisabeth zu ihrem Ehe¬ gatten, als sie diesen zufällig allein traf, „ich habe dir einiges mitzuteilen.“ „Und das wäre?“ frug Herr Peter etwas ungeduldig. „Beeile dich, ich habe noch einen Gang vor. „Ganz merkwürdig ist es, daß du seit einiger Zeit für nichts mehr Zeit hast, was die Familie betrifft,“ entgegnete Frau Elisabeth etwas spitzig. „Für ge¬ wisse andere Leute läufst du dir die Füße wund und opferst halbe Nächte.“ „Ist es das, was du mir zu sagen hast?“ fragte der Wirt und runzelte die Stirn. „Ei, freilich, habe ich dir das auch zu sagen,“ meinte die Frau. „Doch bevor wir über diesen Punkt sprechen, habe ich dir etwas anderes zu berichten. Katharina soll sich verloben.“ „Oho!“ fuhr der Alte auf, „das geht nicht so ohne meine Einwilligung.“ „Du wirst sie aber geben!“ „Hm, das hängt von den Umstän¬ den ab! Und wer ist denn der Mann, der sich der Hilfe der Schürzen früher versichert, bevor er männlich hervor¬ tritt?“ frug Herr Peter spöttisch. „Jedenfalls ein Ehrenmann, 2der weiß, was Art und Weise ist,“ sagte Frau Elisabeth erregt. „Wie kann er mit dir über solche Dinge sprechen, der du fast nur Gast in deinem Hause bist und nur mit deinen besten Freunden auf vertrautem Fuße stehst? Du hast ja gar kein Gefühl mehr für Frau und Kind.“ Frau Elisabeth machte eine Pause Offenbar erwartete sie eine Antwort, bei

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