Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1916

Reden abgehalten und bei der Tafel viele feurige Toaste ausgebracht; über¬ haupt herrschte bei der letzteren die unge¬ bundenste Heiterkeit u. selbe dauerte von 1 bis 6 Uhr. Das leider auf et¬ — liche 30 Mann zusammengeschwundene Bürgerkorps zog auf und gab Sal¬ ven und dessen zahlreiche und hübsche Musikbande schon am Vorabende Zapfenstreich und Ständchen beim Statt¬ halter und Bürgermeister, welche beide auch das Festtheater besuchten. Die neuen schmiedeisernen Pöller donnerten. Man muß es anerkennen, daß wahr¬ scheinlich, so lange in der Stadt Steyr Rats= und Bürgermeisterwahlen über¬ haupt vorgenommen worden sind, wohl kaum jemals so frei von allen Einflüs¬ sen der kaiserlichen Behörden gewählt worden ist. Am 28. Februar wurde endlich die längst sehnsüchtig erwartete Verfas¬ sung Oesterreichs publiziert, allein selbe erregte, wie alles zu spät und nur ab¬ gerungen Gegebene, nicht den Dankes¬ enthusiasmus, der ihr im vorigen Jahre gefolgt sein würde, denn die seither ver¬ suchten und natürlich verunglückten stän¬ disch =adeligen Experimente und die dadurch veranlaßte faktische Trennung der Ungarn haben alles Vertrauen ver¬ nichtet, daher auch das Silberagio nicht unter 45% herabging. Festlichkeiten fanden hier ebenfalls nicht statt. Die bevorstehenden Landtags¬ wahlen nahmen im März das ganze öffentliche Interesse in Anspruch und al¬ lenthalben, auch bei uns, finden zahl¬ reiche und sehr bewegte Wahlbesprechun¬ gen statt. Am 18. wählten hier die Landgemeinden der ehemaligen Bezirks¬ hauptmannschaft Steyr trotz aller Gegen¬ intriguen zwei Bauern zu Vertretern. Die Wahl der städtischen Abgeordneten fand am 21. im Ratssaale stätt. Am Vorabende war eine Wahlbe¬ sprechung im Saale „zur Gans“, wo der Herr Bürgermeister A. Haller als Kandidat auftrat und wo sich von Seite der Kreisgerichtsbeamten und der zahl¬ reichen Partei des Armaturerzeugers J. Werndl eine heftige Opposition kund¬ gab. Allein demungeachtet wurde bei der Wahl, an welcher sich von 513 Wählern bloß 286 beteiligten, der Bürgermeister A. Haller mit 224 Stim¬ men gewählt, während Herr Werndl bloß 45 Stimmen, der Advokat Dr. Kompaß 13 Stimmen erhielt. Unser Gemeindesekretär Herr Aichinger hatte bei den übrigen Industrialorten, welche in Enns zusammentraten, kandidiert, und seine mächtige Partei hatte in Enns, Sierning und Weyer gewaltig agitiert; allein er ist demungeachtet gegen den Bürgermeister v. Gruber in Enns durch¬ gefallen. Eine heftige Fehde zwischen dem mit einem seltenen Talent ausgestatteten und durch sein energisches Auftreten be¬ kannten Gemeindesekretär Aichinger und dem neuen Gemeinderate Dr. Pierer kam zum Ausbruche und letzterer er¬ klärte öffentlich das „kostspielige Se¬ kretariat als ganz überflüssig“ und ver¬ langt, daß dem Sekretär das Gewerbe¬ referat entzogen und derselbe vom Sitze am Ratstische ausgeschlossen werde. Am Freitag den 5. ist unser Herr Bürgermeister als Steyrer Landtagsab¬ geordneter zur Eröffnung des Landtages nach Linz abgereist, die dort im Redoutensaale am 6. durch den Statthalter Eduard Freiherrn von Bach und den vom Kaiser ernannten Landes¬ hauptmann Dominik Lebschi, Abten des Klosters Schlägl, stattfand. Am 10. fand im Landtage schon die Wahl der 10 Abgeordneten zum allgemeinen Reichsrat statt, wobei aber unser Deputierter leider durchfiel und nur als Ersatzmann gewählt wurde. Die Aufhebung der Stadt¬ pfarrschule am Berge und deren Vereinigung mit der Vorstadtschule in Ennsdorf, welche schon im Jahre 1829 projektiert war, ist endlich jetzt nach vielen Bemühungen der Gemeinde¬ vorstehung gegen die widerstrebende Statthalterei und das Konsistorium doch

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