Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

In des Herzogs Stimme lag etwas Drohendes, daß der Arzt sich zu so sagen beeilte: „Befehlt gnädigster Herr, ich werde es sagen, wie ich es verstehe — „Ohne Falsch, Passauer —“ „Bin's nicht gewohnt zu lügen, meinte der Arzt mit gewissem Stolz, „und meinem gnädigsten Herrn gegen¬ über wär' die Sünde umso größer, wollt ich es jetzt.“ Der Herzog antwortete nicht, und einen Augenblick herrschte Totenstille im Gemache. „Habt ihr schon Aussatzkranke ge¬ ehen, Passauer?“ fragte Ottokar da so plötzlich und unvermittelt, daß der Arzt ob der ihm so seltsam scheinen¬ den Frage unruhig wurde und dann er¬ widerte: „Wohl, gnädigster Herr, gesehen und behandelt.“ „Woran erkennt man — den Aus¬ satz?“ „Was will der Herzog?“ dachte der Arzt, „sollte das“ — aber rasch sagte er dann: „Im Anfang lange Zeit, oft ein paar Jahre, gar nicht — das ist eine Sache, die im Blute liegt, erst wenn die Gefahr nicht mehr abzuwenden, tre¬ ten die Anzeichen für den Wissenden deutlich zu tage.“ „Und wie? Ihr seht, ich habe Ver¬ langen danach, über den Aussatz eine Abhandlung zu vernehmen — ein gar seltsam Ansinnen an euch jetzt mitten in der Nacht, he?“ Und der Herzog lachte rauh auf. „Nicht doch, gnädigster Herr,“ be¬ eilte sich der Arzt zu sagen, obwohl er tatsächlich dieses Ansinnen zu nacht¬ schlafender Zeit sehr sonderbar fand, „zudem ist ja bald drüber abgehan¬ delt, denn die Erkennungszeichen die¬ er Krankheit sind ebenso untrüglich als einfach, wenn sie einmal da sind: Erst weiße Flecken auf der Haut —“ 47 „Erst weiße Flecken auf der Haut,“ wiederholte der Herzog tonlos „dann —“ „Dann schwellen nach einiger Zeit die Augenlider sowie die Nase und die Ohren an.“ „Schwellen an,“ tönte des Herzogs Stimme fast unheimlich aus der Fin¬ sternis zum Arzt herüber, „auch dieser Zustand bleibt einige Zeit? Wie?“ „Ja, gnädigster Herr, hierauf fol¬ gen Geschwüre am Körper, die auf¬ brechen, es fallen einzelne Gliedmaßen: Nasen, Ohren, Finger ab Ein Stöhnen aus tiefster Brust un¬ terbrach den Arzt. „Gnädigster Herr, was ist euch plötzlich?“ fragte Sebaldus. „Nichts, nichts,“ sagte der Herzog mit gepreßter Stimme, „und wie lange dauert dieses Leiden, ehe — der Tod eintritt?“ „Das hängt davon ab, ob der Aus¬ sätzige innerlich gesund ist, denn diese Krankheit ist nur eine äußerliche — ein Aussätziger kann viele, viele Jahre leben und dabei rüstig schaffen —“ „Genug, ich danke euch, Passauer,“ agte der Herzog rauh, „ich bin, so glaub' ich, mit mir im reinen, was der Aussatz ist. Geht so unbemerkt nach Hause, wie ihr gekommen seid, und haltet reinen Mund darüber, daß ihr da waret — Gute Nacht, Passauer!“ Die letzten Worte des Herzogs klan¬ gen weich und seine Stimme zitterte. Der Arzt aber verbeugte sich und ver¬ ließ das Gemach, in welchem Ottokar in tiefes Grübeln versunken zurückblieb. Lautlos saß er am Tische, das Gesicht verborgen in den Händen und der Mor¬ gen dämmerte bereits, als er sich er¬ hob und wankenden Schrittes sein La¬ ger aufsuchte, wo sich endlich der Bann löste, der bisher auf ihm gelastet. Er seufzte einigemale schwer und tief auf, dann brach er in ein krampfhaftes Weinen aus, verbarg das tränenüber¬ strömte Antlitz in die Kissen und stam¬

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