Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

Fürst erkannte selber eines Tages die Größe seines Leidens und „ein Geist ging an ihm vorüber und es starrete empor das Haar ihm am Leibe, und in seiner Verzweiflung wünschte er sich den Tod. Die Größe seines Leidens und die grausame Erkenntnis desselben half jedoch dem jungen Fürsten der Stern der Weisen aus dem Mor¬ genlande ertragen, das Licht des Glaubens, das, wie es dem jun¬ gen Fürsten däuchte, jetzt milder und doch viel stärker wie früher, über sei¬ nem Palaste glänzte und aufwärts in den Sternen droben, sich zu verlieren schien. Und die schwere Prüfung er¬ kennend, die ihm auferlegt worden war, nahm sie der Fürst in Demut und Er¬ gebung an und beschloß zu tragen, was der Himmel über ihn verhängt hatte. Leicht ist jedoch jeder Vorsatz gefaßt, aber unendlich schwer die Ausführung, und der Fürst wollte oft zusammen¬ brechen unter der Last des Unglückes, das über ihn hereingebrochen war. Und in einem solchen Augenblicke der ge¬ drücktesten Seelenstimmung machte er sich auf die Reise in einen entfernten Teil seines Reiches, wo er, in tief¬ Weltabgeschiedenheithausend, ster einen frommen Eremiten lebend wußte; zu dem trat er hin und trug ihm sein Leid vor. „Mißverstehe mich nicht, frommer Vater“, schloß der Fürst seine Rede, „nicht den Tod fürchte ich, aber ene Stunden, in denen ich Zeit habe, Betrachtungen darüber anzustellen, wie ich sterben und warum ich so ster¬ ben muß, und diese Gedanken, sie rauben mir nicht nur meine Ruhe, son¬ dern, wie ich glaube, bringen sie mich auch um den Frieden meiner Seele und um den Glauben an das Heil der¬ elben — rate, was soll ich tun, um im Frieden die wenigen Jahre, die mir noch beschieden sind, zu verbrin¬ Der Eremit hatte aufmerk¬ gen?“ sam den Worten des Fürsten gelauscht. Als der Letztere geendet, sagte er mild: „Es liegt an dir, o Fürst, daß 41 du deine Seele rettest, damit sie nicht hinsinke in das Grab und du schauest das Licht, und mich däucht, das Mit¬ tel ist nicht allzufern. Du bist, be¬ denke das wohl, ein Gesalbter des Herrn, zu dem die vielen Tausende deiner Untertanen wie zu einem Vater aufblicken — nicht dein ist das Leben, das dir verliehen wor¬ den, sondern du lebst mit und für deine Untertanen, das bedenke, o Fürst, und überkommen dich trübe Ge¬ danken, sso verjage sie mit rastloser Arbeit im Dienste deines Volkes, schaffe für ihr Wohl, und diese Tätigkeit, sie wird dich befriedigen und du wirst darin jene Ruhe der Seele finden, die gerade du so vonnöten hast, und die dir jene zweifache Unsterblichkeit bringen wird, die du dir ersehnst: Die Un¬ terblichkeit deiner Seele und jeme deines Namens!“ Lange und in tiefes Sinnen versunken stand der Fürst vor dem Eremiten, und seine Augen wurzelten am Boden, als wolle er sich die Worte des Einsiedlers tief ein¬ prägen in sein Gedächtnis. Dann reichte er dem frommen Manne stumm die Hand und schritt aus dessen ein¬ facher Klause hinaus. Draußen, in der schönen Natur, heftete der Fürst eine Blicke gegen Himmel und mur¬ melte: „Arbeit im Dienste meines Vol¬ kes — sie wird mich unsterblich machen — der Eremit hat wahr gesprochen! — Und der Glaube und die Arbeit,“ schloß der Abt erschöpft seine Rede, „sie vereinigten sich bildeten die und langen Jahre, die der Fürst noch lebte, den Stern der Weisen, der ihm hinüberleuchtete durch die Nacht seines Erdenwal¬ lens zum ewigen Licht!“ XV. Nach Erteilung des oberhirtlichen Segens war der Abt von der Kanzel gestiegen und hatte die Messe fort¬ gesetzt. Vieler Menschen Gedanken wa¬

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