Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

12 Prinzessin Agnes war aber nicht um¬ sonst eine Babenbergerin und sie bot alles auf, um ihre Absicht durchzu¬ setzen. Noch am nämlichen Tage fuhr sie auf die Burg Mödling mit ihrer Mutter hinaus, in deren Einverständ¬ nisse sie handelte. Dort saß Herzog Heinrich, der Bruder des regierenden Herzogs von Oesterreich, und hielt einen kleinen, aber ob seiner Pflege der Kunst berühmten Hof, an welchem die grö߬ ten zeitgenössischen Dichter und Minne¬ sänger gerne gesehene Gäste waren, wie denn zu jener Zeit der Wiener Hof die Schule der „Höfischheit“ genannt wurde, ein Wort, aus dem das heutige „Höf¬ lichkeit“ entstanden ist. Prinzessin Agnes kam mit einer Bitte zu ihrem Onkel: er sollte sie und die Herzogin Helena nach Steyr begleiten. Herzog Heinrich war ebenso ritterlich als kunstsinnig und erklärte sich sofort bereit, seine Schwägerin und seine Nichte an den steirischen Hof zu begleiten, und begab sich tags darauf mit den hohen Frauen nach Wien, um seinen Bruder umzustimmen, was ihm auch im Ver¬ eine mit den Bitten der Frauen ge¬ lang. „Die sollen gehen,“ hatte Herzog Leo¬ pold endlich zugestimmt, „denn es ist ja wirklich gut, seinen Neffen aus der Traurigkeit herauszubringen.“ Meginhalm reiste daher nach Steyr zurück und konnte seinem hohen Herrn den bevorstehenden Besuch ankünden. Herzog Ottokar war tief gerührt von dem Beweise der Liebe, den ihm seine Braut jetzt gab, doch wollte er die Leichenbestattungsfeierlichkeiten nicht auf¬ schieben und bat den Wiener Hof, den Besuch, der ihn ebenso ehre als hoch¬ erfreue, um zwei Wochen zu verschieben, bis er von Seitz zurück sei. Meginhalm war neuerlich der Bote, der nach Wien mit dieser Bitte eilte, der Herzog aber beauftragte den Landesmarschall Her¬ wick, der „Böhme“ zubenannt, im Schlosse zu Steyr alles zu einem wür¬ digen Empfange der hohen und lieben Gäste im Vereine mit Herrn Gerung vorzubereiten, und reiste in die Steier¬ mark ab. In Stadt Steyr aber war jetzt alles Leben und Bewegung, das Städtchen wurde gereinigt, die Häuser abgeputzt und getüncht, die Männer legten sich das Sonntagswams zurecht, und die Frauen ihren besten Staat, denn alles wollte die Braut ihres geliebten Fürsten festlich geschmückt empfangen. Prinzessin Agnes hatte sich durch ihren hochherzi¬ gen Entschluß, ihrem Verlobten in sei¬ ner Heimat selbst ihr Mitgefühl an des¬ sen herben Verluste zu bezeigen, die Herzen ihrer zukünftigen Untertanen im Sturme erobert. V. Am selben Tage, als Herzog Otto¬ kar noch zeitlich vormittags aus Seitz wieder in Steyr eintraf, wurde ihm für die ersten Abendstunden das Anlangen der Gäste aus Oesterreich angesagt. In St. Peter hatte eine Abordnung von Rittern und Reisigen unter Führung Rudolfs von Rase die hohen Herr¬ schaften begrüßt und geleitete dieselben nach Stadt Steyr, welche Stadt, nach¬ dem der Herzog für den Empfang die Hoftrauer aufgehoben hatte, im vol¬ len Flaggenschmuck prangte. Es war ein schöner, etwas kühler, aber doch trockener Tag, und in Scharen strömte das Volk an die Enns hinab. Am Turmtor vor der Enge war ein präch¬ tiger, mit Reisig und Fahnen geschmück¬ ter Triumphbogen errichtet worden und dort sammelten sich die Geistlichkeit, der Adel und der Stadtmagistrat nebst den angesehensten Bürgern zur Begrüßung der Mitglieder des freundnachbarlichen Babenberger=Herrscherhauses. Ein ger prächtiges Bild zeigte die Versammlung der ersten Familien des Herzogtums Steier, fürwahr, das Auge konnte sich nicht satt sehen an dem Glanz der Rü¬ tungen und Waffen, den bunten sei¬ denen Kleidern der Damen und den

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