Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914

46 Ebenso brachte er es gut fertig, bei einflußreichen Personen und Behör¬ den sich vorzustellen und seine Sache da vorzüglich zu führen. Kein Wun¬ der demnach, daß sein Verleger ihn schätzte und auch der Chefredakteur ihm sehr gewogen war. Bei allen Er¬ folgen und Fortschritten aber und nicht zuletzt bei aller Arbeit bereitete ihm das nie erlöschende Heimweh traurige Minuten, ja Stunden genug. Trotzdem er auch in seiner Wohnung nie müßig ging, sondern eher zu viel tat wie zu wenig, arbeiteten die Ge¬ danken an die Heimat immer in ihm. Freilich war es auch ein selten schönes Familienverhältnis, welches den Un¬ tergrund und die Veranlassung zu seiner Sehnsucht bildete. Der Vater war gleichzeitig der Freund seiner Kinder, ein gemein¬ sames Band der Liebe hielt die drei umschlungen. Des Vaters Wunsch war den Kindern stets Befehl. Freilich herrschte er nur durch Liebe. Ein rauhes oder strenges Wort war gar nicht nötig. Die erwachsenen Kinder verzichteten gern auf die Ausführung eines Planes, wenn der Vater Be¬ sorgnisse äußerte oder abriet. Dies war aber nicht der Fall in einem Briefe, den Erich eines Mor¬ gens erhielt, als er eben weggehen wollte. Sein Vater schrieb ihm näm¬ lich, daß der langjährige Redakteur ihrer Zeitung erkrankt sei und ins Bad reisen müsse nach arztlicher Ver¬ ordnung. Nun habe der Verleger ihn gefragt, ob Erich nicht die Vertretung übernehmen wolle, mit Aussicht auf Nachfolge. Ob Erich wollte? Das war ja mehr, als er in seinen kühn¬ sten Träumen zu hoffen gewagt hatte! Er kannte die Verhältnisse und wünschte sie gar nicht besser zu haben. Zudem waren ihm seine eige¬ nen in der letzten Zeit etwas ver¬ leidet, da der infolge anderweitiger Anstellung des alten, seit einigen Wochen amtierende neue Chefredak¬ teur ihm anscheinend nicht besonders günstig gesinnt war. So hatte er z. B. auf Wunsch des Verlegers eine humoristische Wochen= und eine Vers¬ plauderei geliefert, in die er sein bestes Können gelegt hatte. Diese hatte den vollsten Beifall des Ver¬ legers, aber nicht des in dieser Hin¬ sicht nicht so beschlagenen Chefredak¬ teurs. Ersterer bestimmte nach Ver¬ dienst zum Druck, letzterer weigerte ich, sie aufzunehmen, da der Rhyth¬ mus nicht gut sei. Der war wohl gut, sogar vorzüg¬ lich, aber des Herrn Chefredakteurs Charakter war nicht gut, sonst hätte er schon aus Vorsicht einen derarti¬ gen Schritt nicht unternommen. Erich hatte nämlich, so jung er noch war, schon vorzügliche Kritiken auf¬ zuweisen, jener aber nicht; auf jenen konnte man das bekannte Wort an¬ wenden: „Es ist zwar ein Vorzug, nichts geschaffen zu haben, aber man darf ihn nicht mißbrauchen!“ So war es auch erklärlich, weshalb besonderen der Verleger keine Schwierigkeiten machte, als eine An¬ frage des Verlegers der Heimatstadt Erichs kam, ob er den jungen Mann entbehren könne, bezw. ihm in seiner Verlegenheit überlassen wollte. Nach einigem Drehen und Winden sagte er zu, obschon er Erich nur äußerst ungern ziehen ließ. Das tat er nur des lieben Friedens halber, da er sich mit Recht sagte, daß Unfriede verzehrt, daß das Geschäft nur unter Uneinigkeit leiden könne. Übrigens bereute er es später sehr, nachgegeben zu haben, denn auf die Dauer be¬ währte sich der Chefredakteur nicht, der sich immer mehr als Maulheld entpuppte, aber nichts Ordentliches leistete. Sein Geschäft ging zurück, und es dauerte lange, bis er es mit Hilfe eines neuen Herrn wieder einigermaßen auf die Höhe brachte. Er sah es zu seinem Bedauern zu spät ein, daß er besser den Neidvogel und Ränkespinner entlassen hätte

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