Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914

44 nämlich Klavier und sangen vorzüglich zur Freude des ebenfalls musikalisch veranlagten Vaters. Und all diese Freuden sollten nun gestört werden! Adele bestand, wie kaum anders zu erwarten gewesen, ebenfalls mit „Sehr gut!“ und wurde denn auch in eine neugegründete Schulstelle der Stadt berufen, so daß sie beim Vater bleiben konnte, was für alle sehr gut war. So konnte Erich denn einigermaßen beruhigt Abschied nehmen und zur Übernahme neuer Pflichten abfahren. Die Stenographie hatte er trotz seiner Studien bereits erlernt und vielfach geübt, so daß er auch in dieser Be¬ ziehung seinen Mann stellen konnte. Nach gütiger Aufnahme durch den Re¬ dakteur, der ihn alsbald dem Ver¬ leger vorstellte, mußte er sich sofort betätigen, wonach er sich schon sehr gesehnt hatte. Er lieferte für sein Alter sehr gute Arbeit und war sehr bald die rechte Hand des Redakteurs, der namentlich seinen flotten Stil lobte. „Flott und fleißig!“ pflegte der zu sagen, womit er nicht nur den Stil und die Art der Bearbeitung meinte, sondern auch, wenigstens das erstere, die Art und Weise des Auftretens. Erich kam immer gut gekleidet und sonst auch fein daher, so daß der Aus¬ druck „flott“ gewiß nicht deplaciert war. Er verdiente noch mehr mit seiner nebenher betriebenen Schrift¬ stellerei als in seinem Berufe. Sein Gesichtskreis erweiterte sich mehr und mehr und seine Kenntnisse vertieften sich. Er wurde bald als Berichterstat¬ ter überall hingeschickt und bewährte sich durchaus. Seine Berichte waren kurz, knapp und vollkommen auf so¬ fortige Verwendung zugeschnitten. Wie gut seine Leistungen waren, er¬ sieht man aus folgendem Zwie¬ gespräch: Verleger: „Was, Sie sind nicht zu der Delegiertenversammlung gegan¬ gen, weshalb denn nicht? Redakteur: „Ich habe den Volontär Mehlhaupt „Aber wie konnten Sie so etwas tun? Da wird ein schöner Brei her¬ auskommen!“ „Erlauben Sie mal, Sie haben die letzten Versammlungsberichte so sehr gelobt „Ja gewiß, aber die sind doch nicht „Die sind eben samt und sonders von dem jungen Volontär verfaßt.“ „Was Sie nicht sagen? Aus dem kann was werden!“ „Das will ich meinen, er treibt fleißig Sprachstudien und besucht re¬ gelmäßig die Kollegien. Auch tritt er überall flott, aber nicht anmaßend auf. „Flott und fleißig, was?“ Mit diesen Worten, die dem Ver¬ leger als Ausspruch des Redakteurs bekannt waren, schloß die Unter¬ redung, die dem jungen Volontär einen guten Teil an Wohlwollen weiter einbrachte. Wenn es galt, die Volksmeinung anläßlich eines besonderen Ereignisses zu studieren, dann war es dem sonst durchaus nüchtern und zurückgezogen lebenden jungen Zeitungsmenschen nicht zu viel, in einer ganz gewöhn¬ lichen Kneipe ein Glas Bier zu trin¬ ken oder in einem abgelegenen Tabak¬ geschäfte sich einige Zigarren zu kaufen, um so mit den Leuten ins Plaudern zu kommen. Und das gelang ihm sehr gut, indem jeder gern dem reundlichen jungen Mann Rede stand. Erich war mit allem sehr zu¬ frieden, ja glücklich; nur eine bittere Pille war in dem süßen, schmackhaften Kuchen, und die schluckt keiner mit be¬ onderer Vorliebe. In allen anderen Berufen kann ohne weitere und beson¬ dere Schwierigkeiten Urlaub erteilt werden, im Zeitungswesen sind Hin¬

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