Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914

hen, ihr diese Bezeichnung zuzuerken¬ nen. Die Türkisaugen waren zwar zu¬ weilen ein bißchen müde, und den welligen Schopf durchzogen silberige Fäden, aber die Gestalt hatte nichts verloren von ihrer feingeformten Zierlichkeit, und die feinen Krepp¬ faltchen im Teint vertuschte ein Schleier vollkommen. Oskar hatte die Arbeitskraft Inges geerbt, seine Tüchtigkeit blieb nicht unbemerkt und brachte ihm in jungen Jahren eine beachtete Stellung. Ma¬ rianne neigte zur Beschaulichkeit und war außerdem nicht sehr hübsch ge¬ worden. Dadurch und daß man von ihr regelmäßige Tätigkeit forderte, zeigten sich Anlagen zu vorzeitiger Verbitterung. Daß Oskar sich jung verlobte und dazu mit einem Mäd¬ chen aus erster Familie, stimmte sie nicht freudiger, und da niemand an¬ derer vorhanden war, ließ sie ihre schlechte Laune an Inge aus. Herr v. Mareno überlebte die Freude an dem zeitlebens erträumten goldenen Kragen nicht lange — ganz munter war er am Morgen weggegangen und abends brachten sie ihn heim, einen ganz stillen Mann, der sich für seinen eiligen Abgang nicht einmal mehr ent¬ schuldigen konnte. Da Oskar kurz vorher geheiratet hatte, blieben die beiden Frauen allein. Marianne erlaubte gnädig, daß Inge die Hauswirtschaft weiter be¬ 1 sorgte und nebenbei die übrigen Cl fordernisse beschaffte, welche Ma¬ rianne gewohnheitsmäßig vom besten verlangte. Inge dachte nicht mehr daran, daß es anders sein könnte. Oskar hatte aber nicht die brillante Partie gemacht, die er sich erhoffte; eine Frau war im großen Stile er¬ zogen und ihre Mitgift entsprach kaum zum dritten Teil diesen Gewohnhei¬ ten. Er schien zerfahren und sorgen¬ voll —das Haushaltungsbudget wollte nie stimmen, seine Frau grollte, weil er zu wenig einnahm, und die Schwiegermama sprach von bettelhaf¬ 5 ten Bezügen, mit denen ihre arme — Tochter nicht rechnen gelernt habe. Eine erregte Szene wühlte die Ge¬ müter auf: „Ich verstehe das nicht, mein Papa hat doch immer ein sehr bescheidenes Einkommen gehabt — und Mama hat einen so hübschen Haushalt be¬ stritten, niemals wurde wegen Geld gezankt. Ein glashartes Lachen schnitt ihm durch die Rede. „Deine Mama!! Ja, wenn ich auf diese Art zum Budget beitragen soll! Ich glaube nicht, daß du so vorurteils¬ los sein würdest, wie dein Herr Papa, der sich dabei noch sehr wohl gefühlt haben mag. Oskar war weiß geworden wie Kalk: „Mela! Was willst du damit sagen? — Meine Mama hat, so lange ich denke, unermüdlich gearbeitet und nebenbei durch Industriezeichnungen Geld erworben; das ist doch kein dif¬ famierender Verdienst, denke ich!“ Würdevoll mengte sich die Schwie¬ germama ein: „Es war unklug von meiner Tochter, die Sache zu berüh¬ es istja ren— das gebe ich zu immerhin Ihre Mutter. Aber schlie߬ lich: als reifer Mann können Sie doch nicht mehr an solche Märchen glau¬ — Ihre Mama hatte leicht haus¬ ben. halten — alle Welt weiß, daß sie immer reiche Freunde besaß, die das Defizit gern deckten. In Oskar riß ganz nahe am Her¬ 500 Mit zen irgend eine Faser entzwei. einem völlig fremden Gesicht schaute er zu den zwei Frauen hinüber. Dann nahm er seinen Überrock vom Haken und seinen Hut und stürmte hinaus. Gegen Abend kam er zu Frau Inge eigentlich ruhig und mit einer un¬ bestimmbaren Sehnsucht nach Zärt¬ lichkeit. „Wo ist Marianne, Mutter?“ Ich „In irgend einer Gesellschaft. habe es gern, wenn sie etwas hat, um sich ein wenig zu zerstreuen.“

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