Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1913

Auch Graf Aribos streitbare Man¬ hielten es mit dem Rechte nicht im¬ nen mer sehr genau und sahen mehr auf die „Rechthaberei“, wobei sie sich bes¬ ser standen. Auch der Schildträger des Grafen Aribo, der Riese Zventibold, hatte wenig an Gewissensbissen zu lei¬ den, war übrigens der schlimmste nicht. Woher er stammte, wußte er wohl selber nicht, sprach er doch ganz gleich geläufig fränkisch, wendisch und avarisch und war sogar in der Schreibkunst ziem¬ lich erfahren, daher seinem Herrn fast unentbehrlich, der ihm auch manches nachsah, was anderen oft schwere Strafe gebracht hätte. Der brave Schildträger war nicht mehr ganz jung, hatte in manchen Lan¬ den gedient, viel erlebt und viel er¬ fahren und man sagte ihm nach, daß er seinerzeit in Italien sich von der bösen Welt, welche die lustigen und ernsten Streiche Zventibolds nicht im¬ mer nach Gebühr würdigen wollte, auf einige Zeit in ein Kloster zurückgezogen und da Lesen und Schreiben und auch die Dichtkunst gelernt habe. Sei dem wie immer, Tatsache war, daß Zventi¬ bold ein gar lustiger Bruder und ein großer Raufbold war, der gar oft in nicht ganz einwandfrei gedrechselten „Reimsprüchleins“ seine Umgebung hän¬ elte oder belustigte. Der Schalk saß ihm immer im Nacken und verübte er eine ruchlose Tat, so erhielt er oft Verzeihung, weil sein Witz, seine Spottsucht und nicht zuletzt seine Schlauheit seinem Vergehen die Schärfe nahmen und seine Richter oder gar seinen Herrn, dem er in großer Anhänglichkeit ergeben war, milde timmten. Aber vor Pfingsten des Jah¬ res 876 n. Chr. kam er durch seine losen Streiche und seinen freimütigen Schnabel in eine gar schlimme Lage. Nach Styra war ein italienischer Roßtäuscher gekommen und bot den Kriegsleuten einige Dutzend schöner, kräftiger und junger Pferde an, die auch guten Absatz fanden. Eines der¬ LXIII selben „stach“ dem wackeren Zventi¬ bold ganz besonders in die Augen und er wurde mit dem Roßtäuscher über den Preis einig: Sechsundzwanzig Gold¬ stücke, was alle Zuhörer als gar nicht teuer fanden. Der Schildträger aber hatte nur zehn Goldstücke und sann betrübten Herzens darüber nach, was da zu tun wäre, um dennoch zu dem schö¬ nen Pferde zu kommen. „Freund!“ sagte er zu dem Ro߬ täuscher, „ich will dir das Pferd ab¬ kaufen mit dem Beding, daß ich dir zehn Goldstücke bar gebe, die anderen sechzehn Goldstücke will ich dir schul¬ dig bleiben. „Schön,“ erwiderte der Roßtäuscher, der gerne einen Handel zum Abschluß brachte, „der Schildträger des gnädigen Herrn Grafen Aribo ist mir gut genug, nimm das Pferd hin!“ So hatte der Zventibold das Pferd, das er sogleich in Abrichtung nahm. Der Roßtäuscher forderte nicht sein Geld und der Schildträger zahlte nicht. Als aber der Roßtäuscher in Styra seine Geschäfte erledigt hatte und abreisen wollte, forderte er von Zventi¬ bold sein Geld und da dieser sich zu zahlen weigerte, ging der Roßtäuscher hin zum Grafen Aribo und klagte. Der Graf war nicht sehr erbaut von dieser Klage und ließ seinen Schildträger rufen und der Roßtäuscher selber war es, welcher die Zeugen des Pferdehandels vor den Grafen Aribo brachte. „Was sind das für Sachen, die du treibst?“ fuhr Graf Aribo seinen Schild¬ träger an, „willst du den Mann da um sein Geld betrügen?“ „Nein, nie, nicht um alle Welt, edler Herr,“ erwiderte Zventibold so ehrerbietig, daß der Graf milder ge¬ stimmt wurde, „ich bin dem Roßtäu¬ scher sechzehn Goldstücke schuldig, das bestreit ich durchaus nicht.“ „Also zahle!“ befahl Graf Aribo. „Da würde mein Namenspatron sich wahrlich meiner schämen müssen, edler Herr,“ erwiderte Zventibold ganz ernst¬

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