Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1912

16 Ankömmling einen der Wachthabenden. „Oben!“ versetzte dieser lakonisch, ohne sich in seinem einförmigen Dienst¬ gange stören zu lassen, und deutete stumm hinauf nach dem ersten Stock. Sogleich eilte der so Bedeutete die Treppe hinauf in den Saal, in dem der Oberst Ralstädt mit finsterer Miene, die Hände auf den Rücken ge¬ legt, heftig auf und nieder ging. „Was bringst du für Kunde? Ist's wahr, daß der Kanzler zu Leipzig angekommen? fragte er dann rasch. „Ich mag's nicht leugnen!“ erwiderte der andere achselzuckend. Der Oberst verfärbte sich bei dieser Antwort und maß mit feindlichen Blicken den Unglücksboten, der alsbald den Reitermantel auseinanderschlug, unter dem Wams aus gelbem Tuch ein Schreiben hervorzog und es dem Ge¬ bieter mit den Worten überreichte: „Vom Herrn Kanzler, an Euch, Herr Oberst!“ Der Oberst griff erst nach geraumer Weile nach dem verhängnisvollen Schreiben. „Gab dir's der Kanzler selbst?“ fragte er dann, als er die Aufschrift gelesen. „Eigenhändig! „Und war er gnädig auf dich und mich zu sprechen?“ „Wie er auf Euch zu sprechen, weiß ich nicht, mich aber hat er gar unhold angelassen und unsere Reiter treulose Kroaten und Räuber genannt, die er züchtigen werde. Ralstädts Auge funkelte, die Zorn¬ ader auf seiner Stirn schwoll mächtig. „Meine Reiter treulose Kroaten und Räuber?“ rief er aufgebracht; „das lügst du, Bube! Der Gescholtene zuckte die Achseln. „Du lügst es, Bube!“ wiederholte der rauhe Kriegsmann und stieß mit dem Fuße nach jenem, der einen Schritt zurücktrat und dann ruhig sagte: „Ich berichte Euch die Wahrheit.“ Der Oberst warf das Schreiben auf den Tisch, sah finster darauf und ging Zimmer auf und nieder. wieder im „Warum zög're ich doch?“ murmelte er dann leise vor sich hin, „der Kanzler weiß nichts weiter, als daß ich beweibt war und wieder freien wollte. Wer sollt's ihm verraten haben von P...s Tochter? Sie selbst ruht längst in küh¬ hu! Was ist das? ler Gruft —— War's nicht, als ob ein Grabeshauch mir über die Wange strich? Er schüttelte sich, dann aber lachte er laut auf. „Knabe, weicher, weibischer Knabe!“ rief er wild, „die Gräber öffnen sich nimmer! Und wenn es wäre!“ fuhr er heftiger fort und ballte die Fäuste und rollte die Augen. „Aber nein, es ist Nein, der — — und der Sohn? nicht hat's nicht verraten — es ist ja der Sohn! — Ich freilich bin der Vater aber, nein, nein, es ist nichts nichts — nichts! Hörst du es, Geselle? wandte er sich darauf an den Reiter, der in der Ferne stand, und schritt heftig auf ihn zu, „was zitterst du? Willst du mich fürchten machen? Geh hinaus und harre meines Rufes!“ Und kaum hatte der Reiter den Saal verlassen, so trat Ralstädt rasch zum Tische, griff hastig nach dem Schreiben, löste das Siegel mit schneller Hand und überflog den Inhalt. Aber bleicher und bleicher ward er während des Lesens, und seine Knie schlotterten. Kalter Schweiß war auf eine Stirne, seine stieren Augen aus ihren Höhlen getreten. Er mußte sich mit der einen Hand an der Tafel fest¬ halten, während die andere, die das Schreiben hielt, schlaff und wie ge¬ lähmt am Körper herabsank. „Alles, alles!“ sagte er dann mit tonloser Stimme und schöpfte tief Schreck¬ — Atem, „alles weiß er, alles! lich! — Und ich entehrt, zum Schelmen gemacht? Aus dem Lande gestäupt wie der Troß? Keinen ehrlichen Reitertod, —Ha, wie der gemeinste Knecht? nimmer, nimmer!“ setzte er mit schreck¬ licher Stimme hinzu, und die Wut hatte den Schrecken überwunden, und krampfhaft ballten sich seine Fäuste,

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