Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1912

8 trostlose Tochter den wilden Mann wieder an. „Sein Leben liegt in Eurer Hand, das merkt wohl,“ erwiderte er mit Be¬ deutung, „doch davon morgen! — Jetzt, Alter kommt, mich dürstet!“ Langsam erhob sich das schluchzende Mädchen von dem Boden und folgte chwankenden Schrittes dem voraus¬ eilenden Peiniger und dem Vater, der von Zeit zu Zeit den Kopf umwendete, zu sehen, ob sie folge, und ängstliche und besorgte Blicke auf sie warf. * * * Einer schlaflosen Nacht war ein trüber Morgen gefolgt. Nicht freundlich und heiter, wie wohl sonst so oft, sandte heute die Oktobersonne ihre Strahlen auf den Marktplatz des freundlichen Naumburg. Sie hatte mit feuchten Nebeln zu ringen, die sich wirr und kraus, gleich finsteren Dämonen, durch die Straßen trieben und das Antlitz der Sonne verschleierten. Da erscholl eine lustige Hornfanfare vor dem Jakobstore, allein die Töne der Lust fanden keinen Anklang in den zagenden Herzen der Bürger, die sich schen und ängstlich nach den Fenstern drängten, die Reiterscharen des schwedi¬ schen Generals P... einziehen zu sehen, die in dessen Abwesenheit der Oberst Ralstädt befehligte. „Die Quartierzettel in Ordnung, Herr Stadtrichter?“ fragte bei diesen Klängen der Oberst, der mit Klaras Vater in dessen Hause am Markt beim Morgenimbiß saß. □ „In Ordnung, gnädiger Herr“, gab dieser gepreßt zurück. „Und die sechstausend Taler?“ fragte der erste, scheinbar gleichmütig, ohne die Messer wegzulegen oder beim Essen innezuhalten, wieder. Der Stadtrichter zuckte verlegen die Achseln. „Noch nicht beisammen?“ fuhr jener in demselben Tone fort. „Die Not, Herr Oberst! Die harten Lasten — ich zweifle!“ sagte er endlich gedrückt. „Schweigt von der Kleinigkeit!“ un¬ terbrach Ralstädt rauh, „unseren Geg¬ nern zahlt Ihr gern, weil diese plün¬ dern und Euch die Nester über den Häuptern anstecken, wenn Ihr nicht zahlt, aber uns, die wir über das Meer zogen, zu streiten für Euch und Euren Glauben — doch davon auf dem Rat¬ hause! — Jetzt zu etwas anderem! Wo ist Eure Tochter? Der Stadtrichter zögerte mit der Antwort. „Wo ist Eure Tochter?“ wiederholte der Kriegsmann rauh. „Erkrankt diese Nacht. Gefährlich!“ entgegnete der Stadtrichter. „So will ich sehen, wie's ihr geht! sagte Ralstädt, vom Tisch aufstehend. „Nicht doch, Herr Oberst!“ fiel Jo¬ hannes in bittendem Ton ein, „nicht doch, der Arzt ist bei ihr.“ „Nun, was tut's?“ versetzte der Schwede und ging nach der Tür, „kommt, führt mich zu ihr.“ „Geht nicht, gnädigster Herr!“ flehte der Greis, und hielt den Obersten auf, 7 „Euer Anblick „Ist ihr nicht genehm, fürchtet 507 Ihr: lachte Ralstädt in verbissenem Grimme, „glaub's gern, daß sie den Almanried lieber kommen sähe, aber ich muß mir doch Bescheid holen, wie sie's gehalten wissen will mit seinem Leben! Johannes Beyer, der Stadtrichter, seufzte tief auf und wagte doch nicht des wilden Kriegsmannes starren Sinn wohl kennend, für des Bedroh¬ ten Leben zu bitten. „Auch der ehrwürdige Herr Pastor ist bei ihr!“ wandte er endlich nach einigem Zögern ein. „So will ich allen dreien Gesellschaft leisten!“ entschied der Schwede und drängte Johannes, der ihn aufhalten wollte, von der Türe. „Zeigt mir das Gemach!“ herrschte er ihm, schon vor der Türe stehend, zu, und zagend und zögernd führte der

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