Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1911

die Hand ausstreckend. Doch der Strandräuber schlug die Arme über¬ einander und wandte sich in schweigen¬ dem Zorn ab. Walter seufzte tief und ging dann langsam von dannen. * Abermals waren Jahre verflossen und wieder ruhte die Nacht auf der öden Küste. Der Mond war fast voll, doch schwere Wolken zogen über seine Scheibe, was ihm den Anschein gab, als wate er mühevoll durch einen dun¬ stigen Ozean. Es war ein furchtbarer Sturm, ein Sturm, dessen man noch nach langer Zeit an der Küste sich er innerte wegen der grausamen Ver¬ wüstungen, die er an Menschenleben und Gütern angerichtet. Die verhängnisvolle Laterne, „des bösen Geistes Leuchtturm“ sehr be¬ zeichnend genannt, brannte hell hoch oben an ihrem Mast, und ihr unseliger Schein hatte schon eine schwerbeladene Brigg ins Verderben gelockt, doch zur großen Enttäuschung der Strandräuber war es dem Kapitän und der Mann schaft gelungen, sich ans Ufer zu retten. Die armen Schiffbrüchigen waren durchnäßt, halb erfroren, und mehrere Strandräuber erboten sich, sie nach einem nahen Dorfe zu geleiten, weil dort für ihre Bedürfnisse besser gesorgt werden könne, besonders aber, weil doch das behielten die bösen Gesellen natürlich für sich — die Leute dadurch fürs erste aus dem Wege geschafft wurden. Die Zurückbleibenden machten sich unterdessen rüstig an die Plünderung des gescheiterten Schiffes, und hatten schon manche Güter von Wert in Schlupfwinkel gebracht, wo weder die Augen der Eigentümer, noch die der Polizei sie entdecken konnten. Mit einer Horde wilder Tiere, die schnaubend und kämpfend über ihre Beute herfällt, würden diese Männer am richtigsten zu vergleichen sein, wie sie um die Güter sich rangen, welche grau¬ samer Betrug ihnen in die Hände ge¬ spielt. Sobald ein Gegenstand von 63 Wert ans Ufer getrieben ward, spran¬ gen drei oder vier Männer zu gleicher Zeit ins Wasser, und kämpften, oft bis an den Hals darin stehend, um den besten Teil der Beute. Während solche Szenen am Strande stattfanden, kehrten Klaas und zwei seiner Genossen aus dem Dorfe zurück, zu welchem sie die Schiffbrüchigen ge¬ leitet. Obgleich Klaas und seine bei¬ den Gefährten zu der Mission sich nur unter der Bedingung verstanden hatten, daß ihr Anteil an den Schiffs¬ gütern ihnen dadurch nicht geschmälert sic werde, sahen sie doch bald, daß darin sich getäuscht, und ihre Wut ist leicht zu ermessen. Mit geschwungener Keule ging Klaas auf die Männer los welche in dem Raube wühlten, und ein Mord wäre unzweifelhaft die Folge gewesen, hätte nicht ein neues Ereignis die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Von dem falschen Licht irregeführt näherte abermals ein Schiff sich der gefahrvollen Stelle; doch in dem Augenblicke, da die Strandräuber beim Scheine des Mondes es bemerkten, ward auch die Mannschaft des Schiffes der ihr drohenden Gefahr inne und strengte alle Kräfte an, ihr zu ent¬ gehen. Die Strandräuber sahen mit so ge¬ spanntem Interesse diesen Bemühun¬ gen zu, daß sie ihres Streites vergaßen und ihre ganze Aufmerksamkeit dem Schauspiel zuwandten, von dessen Ende ihre Aussicht auf reichere Beute ab¬ hing. An Bord des Schiffes war unterdes alles, was Mut und Geschicklichkeit mit Seilen, Segel und Steuer tun können, getan worden zur Rettung des Fahr¬ zeuges, doch umsonst, Das furchtbare Ufer war nicht zu vermeiden, und mit erbarmungsloser Schnelle trieb der Wind das unglückliche Schiff daraus zu. Donnernd drohte die Brandung, turmhohe Wogen stürmten über das schwimmende, schwankende Haus hin, während der Ozean, ringsum heulte,

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