Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1911

36 Nachdem sich die mit der ersten Untersuchung betrauten Beamten kurz über diese Dinge besprochen hatten, schritt man zu einem vorläufigen Ver¬ hör des Schaffners durch dessen Ver¬ sehen das Unglück herbeigeführt wurde Der Mann war von dem Geschehe¬ nen so niedergeschmettert, daß man fast nichts aus ihm herausbrachte. Er sagte nur stets von neuem, er schließe eine Türen immer, er habe sie noch jedesmal genau geschlossen, und darum habe er es auch heute getan. Auf den Vorhalt, er könne ja trotzdem einmal die Sache übersehen haben, und er müsse sie übersehen haben, sonst hätte das Entsetzliche nicht passieren können wußte er nichts zu antworten, sondern murmelte nur ein paarmal ganz selbst¬ vergessen: „Meine arme Frau und das — arme Kind sie wird verzweifeln „ wenn sie es erfahrt!“ Dann ließ man ihn nach Hause gehen; er war seit langem in Dienst, eine Fluchtgefahr bestand auch nicht. II. Der Sicherheitskommissär und der Bahnbeamte, welche gemeinsam die ersten Erhebungen gepflogen hatten gingen nach Abschluß derselben mitein¬ ander vom Bureau weg. Ihr Dienst war für heute beendet, und sie liebten es, nachher noch ein Glas in harm¬ losem Geplauder zu trinken und dabei von den vielfachen Eindrücken des Tages sich zu erholen. Sie arbeiteten schon lange Jahre miteinander; denn der Polizeibeamte war bereits seit ein paar Dezennien ausschließlich in dem Sicherheitsdienst auf dem Hauptbahn hofe tätig. Als sie nun in ihrem gemütlichen Stammlokal in einer Ecke saßen, wo man auch ein Wort reden konnte, das nicht für jedermanns Ohren bestimmt war, kam auch ihr Gespräch alsbald auf den eben erlebten Vorfall „Ich weiß nicht,“ sagte Kommissär Wurm, „es ist etwas an diesem Ge¬ schöpf, was mich nicht ganz klar sehen läßt mich stört etwas an ihr dieser heimliche rasche Blick, der hin und wieder, wenn sie sich unbeobachtet wähnt, über Menschen und Dinge um 7 sie her hinflirrt Offizial Lorenz lachte „Sie sind aber doch einmal ein ganz unverbesserlicher Polizist!“ sagte er. „In Ihren Jahren noch diese Ver¬ brecherriecherei! Pfui! Schämen Sie sich gütigst! Das arme harmlose, her¬ zensbrave Weibchen, die wahrhaftig schon Unglück genug hat, auch noch in den Verdacht zu bringen, als ob sie mit heimlichen Blicken und ähnlicher — Konterbande Schmuggel triebe „Ja, ja, ja!“ sagte Wurm bedächtig. „Wenn man nicht schon zu viel erlebt hätte! Gerade mit diesen harmlosen ganz in Schmerz und Tränen aufge¬ lösten Weibern! Gerade bei Hochzeits¬ reisenden! Mörderinnen waren schon darunter!“ „Na, aber jetzt hören Sie einmal auf!“ meinte der Bahnbeamte ent¬ rüstet. „Heute sind Sie schon über das Maß unausstehlich! Wollen Sie denn nicht gleich einen Bogen Papier her¬ ausnehmen und das unschuldige Ding bezichtigen, sie habe ihren Mann ge¬ radewegs in das Wasser hinunterge¬ worfen?! Der Kommissär schwieg eine Weile. „Ich werde sie im Auge behalten! sagte er dann. „Etwas ist nicht richtig, verlassen Sie sich darauf! Das bekommt man allmählich so ins Gefühl, daß es nur selten mehr täuscht! Wir reden später wieder darüber! Der andere brummte mürrisch etwas vor sich hin. Dann ließen sie den Gesprächsstoff fallen und unterhielten sich über die Tagesereignisse Am nächsten Morgen schon brachten die Zeitungen kurze Notizen über den aufregenden Vorfall, welche bald durch lange sensationelle Berichte abgelöst wurden. Die Romantik des ganzen Vorfalles erfaßte das Publikum. Man folgte allen Einzelheiten mit dem grö߬ ten Interesse, und die Person der

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