Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1911

26 nat Mai und all die junge Pracht des eben erwachten Lenzes lag auf der Gegend. In den hohen Baumkronen zwitscherte und sang es wunderlieblich, sammetweich sproßten die feinen Moose unter den Füßen und Schlingpflanzen wanden ihre grünen Ranken mit den zarten, weißen, duftigen Blüten um den Stamm der Bäume. Würziger Ge¬ ruch von Baumharz, das voll aus den jungen Birken quoll, und frischem Thy¬ mian und Wacholder erfüllte die Luft. Behaglich rauchte der Förster sein Pfeifchen, während seine Schwester Brigitte und Martha fleißig arbeiteten. „Ich denke, der Pfarrer wird noch kommen,“ sagte der Förster im Laufe des Gespräches,„dir seine Glück¬ wünsche zu bringen, Martha. Er sprach davon, wenn er vom Schlosse zurück¬ kommt. Er wurde von der Frau Gräfin aufs Schloß beschieden, wahrscheinlich, um den jungen Grafen zu bewill¬ kommnen, der heut aus der Residenz gekommen ist. Bei Erwähnung des Pfarrers hatte Frau Brigitte einen forschenden Blick auf Martha geworfen, die ruhig und emsig weiternähte. „'s war ein gar wilder Bub, der junge Graf“ meinte erstere jetzt. „Die Leut' im Dorf, die mit ihm in Be¬ rührung gekommen, sprechen nichts Gutes von ihm. Er soll das jähzornige, dabei leichte Temperament seines Vaters geerbt haben. Die Frau Grä¬ fin wird ihre liebe Not mit ihm haben, wenn es sich so verhält.“ „Wird auch viel gesprochen und über¬ trieben“, meinte der Förster, indem er aufstand, sein Pfeifchen ausklopfte und ins Etui legte. „Ich muß noch einen Gang ins Dorf machen, laßt euch nicht stören; zum Abendbrot bin ich zu Hause. „Gehst du durch den Wald, Vater?“ fragte Martha, von ihrer Arbeit auf¬ sehend. „Ja, mein Kind, ich will nur nach den Fuchsfallen sehen, die ich habe 7 stellen lassen, ob s’ auch gut gemacht worden ist.“ „Ich begleite dich ein Stück, Väter¬ chen“, sagte Martha, indem sie auf¬ sprang und den mit blauen Bändern verzierten Strohhut aufsetzte. „Ich bin bald wieder bei dir, Tantchen, warte hier auf mich.“ Sie drückte der alten Frau einen herzhaften Kuß auf die Wange, hing sich an den Arm des Vaters und ging mit ihm davon. Tante Brigitte hatte, nachdem die beiden fortgegangen, das Strickzeug bei Seite gelegt, die große Hornbrille mit den runden Gläsern zurechtgerückt und schaute dem Förster und seinem P Tochterchen nach, so lange sie konnte. „'s ist ein goldenes Herz, das Mäd¬ chen, und hübsch dabei wie eine junge Frühlingsblume“, murmelten ihre Lip¬ pen. „Wenn die gute Selige das er¬ ebt hätte, ihr Kind so hübsch und fromm zu sehen. Der junge Herr Pfarrer hat's auch schon empfunden, daß sie hübsch und gut ist, ich hab's lange weg, und die Martha, nun, die tut fein zimperlich, als ob sie nichts merkte, just wie es einer ehrbaren Jungfrau ziemt. Man weiß ja das aus seiner eigenen Jugend“, setzte sie lächelnd hinzu, indem sie ihr Strick¬ zeug wieder aufnahm und so eifrig zu tricken begann, als gelte es jetzt schon für Marthas Aussteuer zu arbeiten. Da schlugen Stimmen an ihr Ohr sie blickte auf und das Pärchen, mit dem sich ihre Phantasie soeben beschäf¬ tigt, stand vor ihr. Der Geistliche, mit dem jungen, glattrasierten Gesicht, be¬ grüßte sie, wie es ihr vorkam, mit einer gewissen Feierlichkeit, wobei er ver¬ legen an seiner weißen Halsbinde zupfte, und die Martha, die einen großen Veilchenstrauß, das Angebinde des Pfarrers, in der Hand trug, war gegen ihre Gewohnheit wie mit Feuer übergossen und ihr Blick haftete so eigensinnig am Boden, als suche sie etwas.Frau Brigittensscharfen Augen entging das nicht, da war etwas

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