Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1911

Splitter einer eingeschlagenen Laterne klirrten und Stuhlbeine krachten eine Gewaltat bedenklicher Art stand zu besorgen, so sehr sich die Alteren abzuwehren bemühten Der Gendarm hatte seinen Säbel gezogen und stand in ruhiger Ent¬ schlossenheit vor seinem Gefangenen, der all das teilnahmslos um sich her vorgehen ließ. Plötzlich schrak er auf. Von fernher vernahm man einen gellenden Ruf, der wie eine Warnung — wie ein gebieterisches Halt, klang das die Dinge hindern wollte, die hier geschahen. „Was ist das? So fragte man sich im Kreise. Der schon zum Schlag erhobene Stuhl sank der Fuß, bereits zum Sprung auf den Tisch bereit, hielt an — jeder lauschte nach der Dorfstraße hin. Näher und näher kam das Rufen. Jetzt sah man weiße Arme mahnend Aufhalt ge¬ bietend in der Luft erhoben — blau¬ schwarze Locken schimmerten und in atemloser Eise stürzte ein Mädchen in den Garten — ich“, stammelte sie; dann ver¬ „Ich sagte ihr die Kraft und sie brach vor Veitl zusammen. —Ja, wie kommt denn „D' Leni! d'Leniher?“ riefen die Leute durcheinander. Der Höhbauer, der bei den ältern Männern stand, drängte sich in höchster Bestürzung vor. „Dirndl,“ rief er, „bist narrisch wor¬ den? Was kummst denn du daher ge¬ rennt und schreist — dich geht ja alles nix an! Gleich machst, daß d' heim¬ kummst!“ Ein bitteres Lächeln entstellte die geisterhaft blassen Züge des schönen Mädchens. „Ich weiß net, Vater,“ sagte sie, „hat mich wer g’rufen oder hab' ich's bloß g’ahnt — g’wußt hab' ich, daß es höchste Zeit is und daß ich grad noch recht komm'! Es leid'ts nimmer länger in mir, ich muß 's losringen von der Seel', sonst geh’ ich noch um im ewigen — Leben 19 Sie hatte sich aufgerichtet und sah mit fieberhaft glänzenden Augen im Kreise umher. „Leut',“ sagte sie, „der Veitl ist un¬ schuldig — alle sind unschuldig — wer den Martl hat umbringen wollen das bin ich! „Leni!“ rief ihr Vater, „du red'st irr's Zeug z'samm' — du bist krank! „So laß mich reden,“ unterbrach sie ihn heftig, „daß ich g’sund werd' an der Wahrheit! Ich hab' den Martl um'bracht, weil er sein Herz ab¬ g’wend't hat von mir und der Vroni zu, so hab' ich ihn vernichten wollen wegbringen von der Welt — sein Bildl hab' i mir verschafft Veitl stutzte. „Ein Messer hab' i mir kauft z' Murnau drin“, fuhr sie fort, „und wie er nachts ins G’wänd 'naufg'stiegen is um Edelweiß für d' Vroni z' holen, da hab' ich das Messer in sei Bildl 'nein¬ g'stoßen — mitten ins Herz und hab ihn —totbet't — da is er 'runter¬ g'stürzt! „Totbet't!“ hauchte es entsetzt von allen Lippen. Unwillkürlich zogen sich die Leute von der Unseligen zurück, und die nächststehenden Weiber bekreuzigten sich und hoben den Saum ihres Rockes höher, damit er nicht etwa durch die Berührung mit der Geächteten befleckt werde „Jetzt gebts den Veitl frei — er ist unschuldig!“ sagte Leni, die seit dem Geständnis an Kraft gewonnen zu haben schien. „Da sind meine Händ fesselts mich und führts mich zum Gericht. Der Gendarm zuckte die Achseln „Wie kommen dem Veitl seine Knöpf an die Unglücksstell'?“ fragte er. „Red', Veitl, red'!“ drängte die Mutter des Burschen, von neuer Hoff¬ nung belebt. Der junge Bauer öffnete seinen Mund. Da fiel sein Auge auf Leni. Wie eine Märtyrin kam sie ihm vor Nie hatte sie ihm schöner gedünkt als in dieser Sekunde, da sie von allen ver¬ 24

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