Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1911

18 „großen Wirtes“, wo die Unterredung stattgefunden hatte. Aber so heimlich man sie gehalten zu haben glaubte, einige draußen in dem erleuchteten, mit Menschen angefüllten Wirtschaftsgarten hatten doch bemerkt, daß etwas Ge¬ heimnisvolles vor sich gehe. Es zischelte und tuschelte sich herum, und als der Gendarm durch die Rück¬ wärtstür eintrat und — wie er meinte —unbemerkt auf Veitls Schulter klopfte, um den Burschen herauszu¬ rufen, da waren im Augenblick alle „ Köpfe in der Höhe — ein Aufruhr ent¬ — stand erregte Menschen bildeten einen Kreis um die beiden, und ein be¬ sonders heftiger, durch Biergenuß noch mehr gereizter Bursche stieß den Gen¬ darmen derb weg und schrie: „Was willst vom Veitl, du Grüner du! Hat er epper einen umgebracht? Veitl selbst war totenblaß geworden und zitterte, als er den Gendarm sah. „Veitl,“ sagte dieser ruhig, „sind das nicht deine zwei Joppenknöpfe?“ Unwillkürlich fuhr der Angeredete an seiner Joppe herauf, und ein wenig ge¬ übtes Auge konnte erkennen, daß dort, wo seine Finger tastend suchten, zwei neue, zu den anderen passende Knöpfe eingesetzt waren. „Veitl,“ sagte der Gendarm dringen¬ der noch einmal und hielt dem Bur¬ schen die beiden Hornknöpfe unters Ge¬ sicht, „kennst du die Knöpf' da nicht, die ich an der Wand droben gefunden 107 hab2 Ein Murmeln und eine Bewegung ging durch die Menge. Irgend jemand mußte Veitls Mutter benachrichtigt haben, daß ihrem Sohne Gefahr drohe. Atemlos in Todesangst kam sie von ihrem benachbarten Hofe herüberge¬ stürzt. „Jesses,“ riefen die Weiber, „sei Muatterl!“ und fingen zu heulen an. Sie aber drängte sich durch den 1 Kreis. „Veitl,“ rief sie und faßte ihren Sohn am Arm. „schau mir ins G'sicht! Mir, deiner Mutter schau ins G'sicht und sag' mir: Was hast du getan? Was hast du auf'm G’wissen, was i net weiß? Sag' mir's! Nur mir bist du Rechenschaft schuldig; denn soviel wie ich, hat kein's ausg'standen um dich und so gern wie ich, hat dich kein's! Sag', Veitl, daß du unschuldig bist!“ Man hörte ein dürres Blatt, das der Abendhauch oben im Wipfel gelöst hatte, durch die Aste herunterrascheln — so und dann auf den Boden fallen totenstill war es. Der Bursche stand bleich und zitternd — die Augen zu Boden gesenkt. Ein paarmal war's, als wollte er reden; aber es hob sich nur seine Brust höher und ein schwerer Atemstoß öffnete seine Lippen. „Veitl,“ rief die alte Bäuerin, „red' laß mich net glauben, daß du deine alte Mutter vergessen hast!“ „Muatterl, ich bitt' dich“, — preßte er da heraus. „Red'“ — sagte sie in Todesangst „sag', daß du unschuldig bist! Er schwieg. Der Gendarm löste sanfter, als man es von dem in strenger Pflichterfül¬ lung rauh gewordenen Manne er¬ wartet hätte, die bebenden Finger der Alten von dem Arme Veitls. Sie leistete keinen Widerstand mehr und sank kraftlos auf die Holzbank. Wenn Mutterglaube enttäuscht wird ist die ganze Stärke einer Mutter dahin. Jetzt erwachte aber in der Dorf¬ jugend der kaum bis jetzt zurückgehal¬ tene Trotz. Das Zusammengehörig¬ keitsgefühl, der Bauernstolz, empörte sich dagegen, daß einer von ihnen dem Gendarmen ausgeliefert werden sollte, dem man höchstens Landstreicher und Diebe vergönnte „Das gibt's fein net,“ rief der leiden¬ schaftliche Schreier wieder, der sich schon vorher dareingemengt hatte, „dast der Veitl arretiert wird! Ba'm helft's z'sammt! Frei muß er werd'n — der Veitl.“ „Das gibt's net — frei muß er werd'n!“ wiederholten ein Dutzend Stimmen. Grelle Pfiffe ertönten, die

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