Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1911

16 Geräusch leiser Herzschläge, schwachen zögernden Atemholens. Martls wachsbleiche Wangen zeigten einen sanften Anflug von Röte und als man den Schwerverwundeten auf die Bahre hob, entrang sich ein tiefer Seufzer seiner Brust. Das verstreute Edelweiß rings um die Unglücksstelle her deutete nur zu sicher an, bei welcher Gelegenheit Martl den Unfall erlitten hatte. Aber wäh¬ rend nun Vroni die Blumen Stern um Stern mit wehmütiger Lust sammelte, gewahrte sie plötzlich eine leichte Blut¬ spur, die weg von der Wand und von der Unglücksstätte in die Halde hinein dem Gebüsche zu führte. Sie machte den Gendarm darauf aufmerksam. Dieser, schon unmutig, daß für die Ent faltung seines Amtseifers hier gar die keine Gelegenheit sein sollte, nahm Verfolgung der Fährte mit Feuereifer ihn auf. Nach kurzer Weile hörte man fast vom Gebüsch her einen lauten, der jubelnden Ruf ausstoßen. Einige Männer eilten zu ihm. „'s ist kein Unglück!“ rief er ihnen entgegen. „Ein Verbrechen ist's! Ein Raubmord wahrscheinlich! Da ist Geld — ein paar ausgerissene verstreut — Gras ist Joppenknöpf' liegen herum zerstampft!“ Man überzeugte sich, bestürzt, von der Richtigkeit dieser Worte. „Wer sollte denn meinen Sohn da oben überfallen haben?“ sagte der Meierhofer kopfschüttelnd und bestürzt. „Wir hab'n keinen Feind. Der Gendarm zuckte die Schultern. „Das wird die Untersuchung zeigen!" meinte er, und forschte emsig weiter. 7. Kapitel. Den Kopf noch auf dem Betschemel und die Hände ineinander geschlungen, war Leni eingeschlafen. Eine dumpfe traumlose Erschöpfung hielt ihre Sinne bis in den hellen Tag hinein gebannt. Plötzlich schrak sie auf. Ein fernher kom¬ mendes Geräusch von der Berghalde niedersteigender Schritte klang an ihr Ohr. Im ganzen Hause war es toten¬ still; man war bereits zur Feldarbeit ausgezogen. Ein Schaudern durchzuckte das bleiche Mädchen, als es den Dolch vor sich in dem Bilde stecken sah. Ihre Hand hol sich, sank aber im selben Augenblick wieder, und ein trotziger Zug legte sich um ihre Mundwinkel. Das Geräusch außen näherte sich und eine unbe¬ stimmte Ahnung drängte sie, ihm nach¬ zuforschen. Sie schritt die knarrende Treppe hinunter und öffnete die Haus¬ tür. Der blendende Herbstmorgen drang ihr mit seiner frischen, leuchtenden Schönheit entgegen, daß sie unwillkür¬ lich die müden Augenlider senkte. Da gewahrte sie vor sich auf der Schwelle ein paar Rosenknösplein. Sie beugte sich nieder, um sie aufzunehmen, und erkannte dabei mit Entsetzen die Bluts¬ tropfen, die sie umgaben. Jäh schreckte sie empor, sah auf und erstarrte. Mehrere Männer trugen vorsichtig etwas Schweres, Verhülltes, die Halde herab. Lenis Augen öffneten sich weit, ihr Atem rang sich keuchend aus der Brust so lauschte sie einen Moment dem Entsetzlichen, was da kam, entgegen. Es war ihr, als müßte sie ins Haus zurückfliehen, als müßte sie sich tief zu unterst im Keller vergraben. Aber eine unwiderstehliche Gewalt, eine Herzens¬ angst, die ihr den Atem zu ersticken drohte, trieb sie vorwärts. Sie mußte ehen, was es war, das die schweigenden Männer trugen. Einer Traumwandelnden gleich, die weitgeöffneten Augen im totenbleichen Gesichte, von flatternden Haaren um¬ flattert, die der Morgenwind zauste, so schritt sie dem kleinen Zug entgegen, der in der Nähe des Hauses anhielt weil die Träger ruhen wollten. „Was hast denn, Dirndl?“ fragte einer derselben. „Kommst ja daher wie a Geist! Aber sie drängte ihn zur Seite, hob mit hastender Hand das Tuch von dem wunden Haupt und erkannte den schein¬

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2