Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1909

Telephonische Indiskretionen. Wius Helwich. Humoreske von (Nachdruck verboten.) hier aus eine Tür nach dem Korridor 6 reiche Reeder Wollberg be¬ ∆ der Wollbergschen Wohnung. Lieschen trieb sein Geschäft con brauchte also nur durch das väterliche amore. Es war ein reelles 8 „ G Kabinett zu gehen, um zum Telephon zu Geschaft, welches ihm all¬ gelangen. jährlich hunderttausend Mark Der verabredete Plan gelang ent¬ einbrachte; er besaß mehrere große zückend. Lieschen stand soeben wieder Ozeandampfer, die nach und aus allen beim Apparat, klingelte und sagte: Weltteilen exportierten und importierten. „Verbinden Sie mich mit Nummer 190! Dabei hatte der schon lange verwitwete Es klingelte wieder. Mann nur ein einziges Töchterlein, „Wer dort?“ fragte eine jenseitige Lieschen, welcher dereinst all sein Reich¬ Stimme. tum beschieden sein sollte. Nun traf es „Fridolin!“ rief Lieschen zärtlich in sich, daß der bekannte kleine Amor Lies¬ den Apparat. chens Neigung auf jemanden richtete, „Guten Tag, Geliebte!“ tönte es von der alle möglichen guten Eigenschaften, der anderen Seite noch zärtlicher. nur kein Geld hatte. Dieser Jemand „Wie geht dir's, Geliebter? war Fridolin Born, Buchhalter bei dem „Danke dir, mein Alles! Ich küsse Kommerzienrat Füllner & Sohn. Es dich! war eine heimliche Liebe, von der nie¬ „Tausendmal!“ mand was weiß, am wenigsten Lies¬ „Wenn ich jetzt bei dir wäre!“ kam chens Vater. es wieder von drüben. Die Liebenden strebten zu einander, „Ach, und ich bei dir!“ seufzte sie. sie möchten sich täglich, stündlich sehen „Das wäre süß!“ und sprechen dennoch verbieten Anstand „Weil's aber nicht kann sein, bleib' ich und Vorsicht verstohlene Stelldicheins. allhier“, zitierte er. „Einen Schritt bin Sehen konnten Fridolin und Lieschen ich näher am Ziele. einander nicht oft, aber sprechen, das „So? Wie meinst du das, Fridolin?“ ging! Wozu gibt es denn die gefälligen „Mein Chef hat mir Prokura erteilt.“ Vermittler, die Telephone? Lieschen kam „Ah, das ist bedeutend! Ich gratuliere zuerst auf den Gedanken. dir von Herzen.“ „Können wir uns denn nicht öfters „Gott wird uns weiter helfen, telephonisch unterhalten? Das wäre so Teuerste. hübsch!“ schrieb sie an den Geliebten, „Amen!“ sagte Lieschen andachtsvoll. und dieser antwortete: „Ich will dich „Findest du nicht, Lieber, daß es am täglich mittags, zehn Minuten nach Telephon amüsant ist? 12 Uhr, anrufen. Da befindet sich dein „Und ob!“ erwiderte Fridolin Born Papa beim Frühschoppen, mein Chef an heiter. „Auch zum Sehen ist bald Ge¬ der Börse, und unsere Leute sind zu — legenheit.“ Tisch.“ „Meinst du?“ Freudig ergriff das junge Mädchen ∆ „Ja, heut über vierzehn Tage ist das diesen Vorschlag. Die Wollbergsche Pri¬ Stiftungsfest unseres Turnvereins. Hof¬ vatwohnung grenzte an das Kontor, eine „ fentlich treffen wir uns da!“ Tur aus der ersteren führte zunächst in —77 „Papa wird Wollbergs Kabinett, neben diesem be¬ Weiter kam Lieschen nicht. Sie hörte fand sich das Arbeitszimmer des alten diesem Augenblick den ruhigen Schritt in Buchhalters Müller, und in demselben ihres Vaters. Er war schon ganz nahe der Sprechapparat. Außerdem ging von

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