Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1909

20.000 Piaster obendrein, dann sollen Eure Fregatten ruhig auslaufen. „Alles recht und gut,“ sagte der Effendi, „ich werde nach Stambul noch heute Nacht schreiben, und du sollst deine Frau und Kinder und die Piaster in zwei Monaten von heute an haben. Aber, welche Sicherheit gibst du mir? Das Wort eines Griechen ist keinen Para wert.“ □ „Ihr sollt die Bürgschaft zweier Kauf¬ leute von Marseille für den doppelten Betrag haben. Ihr könnt mir nicht alles geben, was ich wünsche“ schloß der Taucher mit finsterer Stirne. „Ihr könnt mir meines alten Vaters, meiner Schwestern und meines jüngsten Kindes □ Leben nicht wiedergeben. Ihr könnt mir das Herzblut des albanischen Wolfes nicht geben, der sie verschlang. In einem Vierteljahre hatte der Taucher seine Familie wieder. Er ver¬ langte die Bezahlung zum voraus, da er auf des Effendi Wort so wenig traute, als dieser auf das seine. Der Tag des Ablaufens der dritten Fregatte erschien, eine größere Masse Volkes als je war versammelt, alles voll Erwartung. De¬ metri, der Taucher, der während der drei letzten Monate freien Zugang zu den Werften hatte, war an Bord. Die Schmierhölzer wurden weggeschlagen, die Fregatte lief vom Stapel undschoß majestätisch in das Wasser. Das Ab¬ laufen ging trefflich von statten. Der Effendi war entzückt und glaubte mehr denn je an die Macht des bösen Blickes. Wenige Tage später lief die vierte Fre¬ gatte mit gleichem Erfolg ab. „Wunderbarer Mann!“ rief der Ge¬ 37 andte der hohen Pforte. „Durch welchen seltsamen Zauber vermochtest du die beiden ersten Fregatten zu behexen?“ „Höchst einfach“, antwortete Demetri, der Taucher, in Gegenwart einer großen Gesellschaft, welche zu einem festlichen Bankett versammelt war. „Vor fünf Jahren war mein Vater einer der ersten Schiffbauer auf Chios, und ich wurde von Jugend auf in dieser Kunst unter¬ richtet. Wir waren reich, wir waren glücklich, bis wir durch die türkischen Greueltaten vernichtet wurden. Ich kam in Marseille an, allein, bettelarm; mein Vater war gemordet, Weib und Kinder in Gefangenschaft. Wie ich lebte, wißt Ihr alle. Während die ersten beiden Fregatten gebaut wurden, beobachtete ich genau jede Arbeit. Ich entdeckte mehr Punkte, die das glückliche Ablaufen ver¬ hindern mußten. Als ich jedoch mit dem Effendi in Kontrakt getreten war, ver¬ kehrte ich mit den Schiffbauern, zeigte ihnen, was falsch war, und sagte ihnen, was zu tun sei. Sie änderten und ver¬ besserten. Die Schiffe sind glücklich von Stapel gelaufen, und der böse Blick hat so wenig mit der Sache zu tun, als die Bernsteinmundspitze des Tschibuks Sr. Exzellenz des Effendi!“ Der letztere war über den Schluß der Erklärung etwas ungehalten und mur¬ melte in seinen Bart, daß alle Griechen Diebe seien. Demetrius jedoch hatte seine Piaster, gab das Tauchen auf und be¬ gann das Schiffbauen auf eigene Rech¬ nung. Die beiden Fregatten wurden rasch bemannt, aber in der Schlacht bei Navarin, soviel wir erfuhren, in Stücke zerschossen.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2